Predigt über Lk 4, 1-13 am vorletzten Sonntag des Kirchenjahres in Oberwinter (WN)

Korruption ist eine der gefährlichsten Viren. Weit gefährlicher als Corona. Sie verhindert einen gerechten Frieden, aktuell die Sehnsucht nach einem gerechten Klimafrieden. Angesichts der globalen Verquickung von Krisen werden die Folgen von Profitstreben, Konsumwahn, Nationalismus, Hegemonialansprüchen und permanenten Menschenrechtsverletzungen immer gravierernder. Die schwerwiegendste Krise ist die ökologische, weil sie nicht nur unsere eigene, sondern in noch extremerem Maß kommende Generationen belastet, die zur Katastrophe nichts beigetragen haben.
Schon jetzt sehen wir die Auswirkungen in Afrika und Asien. Das Zweistromland der Bibel wurde zum Sinnbild fürs Paradies. Heute sind Euphrat und Tigris ausgetrocknet. Weite Strecken im Irak sind zur Wüste geworden. Für die 27. Weltklimakonferenz in Scharm el Sheikh lieferte UN-Generalsekrtetär Gutierres deshalb eine drastische Überschrift: „Wir sind auf dem Weg in die Klimahölle – mit dem Fuß auf dem Gaspedal.“
„Nachhaltigkeit“ ist in aller Munde. Schon seit 1979. Ohne dieses Zauberwort wagt sich heute keine Firma und keine Regierung in die Öffentlichkeit. Diese Nachhaltigkeitsrhetorik kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass nach wie vor die ökonomischen Interessen der reichen Industrienationen vorherrschen. Herr Scholz versuchte auf der gegenwärtigen Weltklimakonferenz, diesen Widerspruch weg zu lächeln. Und das auf dem Hintergrund von 26 vorangegangenen Klimakonferenzen!
Die häufigste Reaktion auf die Finanz- und Wirtschaftskrisen, auf die Ernährungs- und Rohstoffkrisen ist immer noch die altbekannte: Wachstum! „Wachstum wird zum Beruhigungsmittel gegenüber Umverteilungsforderungen und soll national wie international soziale Konflikte entschärfen.“ (Uwe Hoering, Wegmarken für einen Kurswechsel – Eine Zusammenfassung der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt“, Bonn 2009)
Schon immer feilschten deutsche Regierungen in Brüssel um Grenzwerte und Ausnahme-regelungen. Wie jetzt beim Lieferkettengesetz derEuropäischen Union. Die FDP hat es geschafft, die Hoffnung auf Verbesserung der ökologischen und sozialen Arbeitsbedin-gungen in den Billiglohn-Ländern Asiens und Afrikas zunichte zu machen. Noch nie wurden bei uns so viele PS-starke Autos verkauft wie im letzten Jahr. Ein Tempo-Limit wäre nachgerade gefährlich für die Laune der Wohlhabenden und Reichen. Schon Frau Merkels Mantra war: wir leben in einer „marktgerechten Demokratie“. Die langfristigen Folgen werden ausgeblendet, bzw. rhetorisch mit dem Zauberwort „technologische Innovation“ vertuscht. Kurzsichtigkeit, aus Egoismus und aus Angst vor Auseinanderset-zungen geboren, ist integraler Bestandteil der Korruption des Denkens.
Wenn in der Politik von Verzicht und Genügsamkeit gepredigt wird, sind gewöhnlich die Armen die Adressaten. Fordern statt Fördern.
Was hat das mit der Versuchungsgeschichte zu tun?
Auch in der Versuchungsgeschichte geht es um Korruption, ja, um die Korruption schlechthin. Es geht um einen Virus, der sich in Gott selbst einnisten soll, um ihn nach den Spielregeln des Teufels regieren zu lassen.
Die 40 Tage Jesu in der Wüste wecken Erinnerungen an die 40 Jahre Israels in der Wüste, wecken die Frage, ob es einen glücklichen Neuanfang oder nur unglückselige Wieder-holungen gibt. Jesus hat vierzig Tage gefastet. Er hat Hunger, ist also nicht gefeit vor Versuchungen, auch wenn der Teufel seine Gottessohnschaft voraussetzt und nicht in Frage stellt.
Der erste Korruptionsversuch besteht in einer scheinbar harmlosen Zumutung: wenn du schon Gottes Sohn bist, nutze deine Privilegien, um den kreatürlichen Unannehmlich-keiten zu entgehen. „Sprich zu diesem Stein, dass er Brot wird!“
Wohlgemerkt: bei allen drei Versuchungen geht es nicht um Schauwunder. Von einem zu beeindruckenden Volk ist nicht die Rede. Es geht in aller Stille um den Versuch, einen innergöttlichen Vertrauensbruch zu inszenieren! Jesus rückt die Koordinaten gerade: Der Messias steht nicht über dem Wort Gottes, sondern lebt es. „Der Mensch lebt nicht allein vom Brot.“ Das ist eine radikale Infragestellung der Regierungspolitik Roms, die der Bevölkerung Brot und Spiele anbot, um sie bei Laune zu halten und sozial zu „befrieden“. Die erwartete Reaktion ist dann: „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.“
In der zweiten Runde wird der Einsatz des Teufels schon gewaltig erhöht. Alle Reiche der Welt stehen zur Debatte. Macht und Herrlichkeit werden versprochen. Das scheint eine märchenhafte Lösung aller Weltprobleme zu sein. Jesus erhält die Chance, auf einen Schlag die Welt zu revolutionieren. Good governance ist ja heute wie Nachhaltigkeit ein Zauberwort . Eine Weltregierung muss her, die mit aller Macht und Herrlichkeit die Verhältnisse zum Guten wendet. Das erinnert an Orwell’s „Schöne neue Welt“, gesteuert von agressionshemmenden Duftstoffen und genetisch getunten Politiker*innen. Es erinnert auch an die Ambitionen Chinas, der USA und des Putin-Regimes. Aber ist es nicht verlockend, auf diese Weise Millionen von Hunger- und Kriegstoten zu verhindern? Ohne unsere eigenen Anstrengungen, ohne Schweiß und Tränen! Nun, hier kommt wieder die Nachhaltigkeit ins Spiel: die Kondition des Teufels würde die schöne neue Scheinwelt zunichte machen, zwar nicht sofort – weiß der Teufel, wann! – aber am Ende doch. „Wenn du nur vor mir anbeten willst, soll das alles dein sein.“
Auch hier beruft Jesus sich auf einen Kernsatz des Wortes Gottes. „Es steht geschrieben: Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen.“ So bekräftigt der hungernde Jesus sein Vertrauen in die Beziehung zu Gott. Es gibt keine Nachhaltigkeit
und keine qualitativen Transformationsprozesse ohne Vertrauen in die Regierungspolitik Gottes. Und die rechnet mit der Verantwortungsbereitschaft seiner Geschöpfe. Und das heißt zunächst: mit der Bereitschaft, Gott zu antworten, wenn er fragt „Mensch, wo bist du?“, und sich nicht hinter Büschen oder hinter anderen Menschen zu verstecken. Die Wendung zum Besseren setzt die Bereitschaft zum Gehorsam gegenüber Gottes Weisung und zu Umkehr und Erneuerung voraus. Im Hebräerbrief heißt es: „Und er hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte; und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt. So hat er, obwohl er Sohn Gottes war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt.“ (Heb 5, 7f)
Nachhaltige qualitative Transformationsprozesse sind mit Verzicht und Leiden verbunden, wobei es dann den entscheidenden Unterschied macht, ob wir freiwillig um dieser Veränderung willen Leid auf uns nehmen (bei unseren Geschwistern in den Philippinen heißt das productive suffering – schöpferisches Leiden), oder ob das Leid über uns hereinbricht, weil wir nicht bereit waren, freiwillig um der Zukunft der Welt willen Privilegien aufzugeben und achtsam und genügsam zu leben.
Die vorherrschende wirtschaftliche und politische Logik ist korrumpiert. Sie beruht auf Karriereerwartungen im Zyklus der Wahlperioden bzw. im Zyklus der Bilanzberichte. Der allabendliche Börsenbericht ist ein Ritual beworden, so sicher wie das Amen in der Kirche.
Es trifft mich, wenn ich selbst von sympathischen Menschen als Reaktion auf die Folgen des Klimawandels höre: „Wie gut, dass ich dann nicht mehr lebe!“ Wenn ich so mit dem Schicksal kommender Generationen umgehe, ist der nächste Schritt nicht mehr weit, nämlich, in den kommenden Verteilungskämpfen um sauberes Wasser, um einigermaßen saubere Luft und um ein angenehmes Leben abermillionen Mitmenschen im Meer ersau-fen oder in Wüsten verdursten zu lassen. Das Geld- und Sachvermögen in Deutschland beläuft sich trotz aller Krisen auf nunmehr 20.000 Milliarden, also 20 Billionen Euro. Aber wehe, wenn die Wirtschaftsweisen jetzt von Umverteilung und Solidarität sprechen!
In der dritten und entscheidenden Runde versucht der Teufel es nun auch mit einem Bibelzitat. „Stürz dich von der Zinne des Tempels, und, wie so schön im 91. Psalm geschrieben, wird Gott durch seine Engel dafür sorgen, dass du mit heilen Füßen unten ankommst.“ Weil wir den Ausgang dieser Geschichte kennen, finden wir das vielleicht nicht so dramatisch. Aber wir sind aktuell mitten in der Geschichte, die auch von frommen Fundamentalisten geprägt wird, die andere und sich selbst in den Abgrund stürzen. Die Welt wird ja ohnehin vergehen, die Apokalypse ist unabwendbar. Warum also nicht den Vorgang dadurch beschleunigen, dass wir uns keine Klimaziele setzen, dass wir mit unserer Wirtschafts- und Sicherheitspolitik so weiter machen wie bisher? Hauptsache, wir kommen in den Himmel. Das ist mittlerweile eine auch politisch mächtige Irrlehre geworden. Bolsonaristen und Trumpisten leben damit.
Die noch geläufigere Variante ist die pastorale, die auf die „billige Gnade“ Gottes zecht, Menschen mit seelsorglicher und liturgischer Eleganz einlullt und den Anspruch Gottes auf unser ganzes Leben unterschlägt. Das ist die ganz und gar schein-heilige Form des „Weiter so!“.
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen!“ Ein Vertrauen, das nur das mehr oder weniger fromme Ego bestätigen und mir ein sorgenfreies Leben garantieren soll, ist die tägliche Versuchung Gottes. Wirkliches Vertrauen, so zeigt Jesus, setzt auf die Nach-haltigkeit der Fürsorge Gottes, selbst angesichts des Todes.
Der Teufel wich von Jesus eine Zeit lang – bis zu gegebener Stunde. Er war nicht weg und ist auch jetzt noch nicht weg. Wie wir dieses Wort Teufel auch immer übersetzen oder entmythologisieren, die Versuchung zur Korruption ist allgegenwärtig.
Die kleinbürgerliche Variante ist, mit der eigenen Ohnmacht zu kokettieren und „die Verhältnisse“ zu beklagen. Das ist gefährlich, weil eine Menge Wahrheit darin steckt, aber eben nicht die ganze. In der Bibel zeigen uns die Hebammen Schifra und Pua, Mirjam, die Prostituierte Rachab, Ester, Ruth und Judith anschaulich, was Gottvertrauen bewirken kann.
Das Tröstliche und Befreiende der Versuchungsgeschichte ist, dass Jesus sich nicht korrumpieren lässt, wie der Philipperhymnus preist: „Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist…“ (Phil 2, 6-9)
So ist der Bann der Unbesiegbarkeit des Bösen gebrochen, und viele Menschen auf unserem Planeten zeigen, dass Maggy Thatchers neo-liberaler Kampfruf: „Es gibt keine Alternative“ nicht stimmt; sogar die 65.000 politischen und Klima-Aktivisten, die während der Klimakonferenz im eleganten Scharm el Sheikh in Ägyptens Gefängnissen darben, zeigen es. Noch haben wir die Chance, mitzuwirken im konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung. Gebe der auferstandene Christus uns Kraft, Mut und Weisheit dazu.
Und der Friede Gottes, der unsere Vernunft beflügelt, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen