Liebe Geschwister, Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der Ursprung und Ziel unseres Lebens ist und Ursprung und Vollendung der ganzen Welt. Amen
Lesung des Predigttexts Jesaja 29, 17-24 nach der Elberfelder Bibel
„Dauert es nicht nur noch eine ganz kurze Weile, dass sich der Libanon in einen Fruchtgarten verwandelt und der Karmel dem Wald gleichgeachtet wird?“
Bundeskanzler Kohl hatte das ja auch mal versprochen, den Menschen, die im auspuffgas- und chemieverseuchten Gebiet der DDR täglich unter den Folgen der Umweltschäden zu leiden hatten. Und es änderte sich in der Tat einiges in den Neuen Bundesländern. Kein Grund, das klein zu reden.
Nach dem Ende des kalten Krieges und des Sowietregimes schien überhaupt alles möglich. Wegweisende Konferenzen der Vereinten Nationen zu Umwelt und Entwicklung, zu Menschenrechten und insbesondere zu den Rechten von Frauen, von Kindern und von Menschen mit Behinderungen ließen hoffen. Und das Versprechen der Propheten des neo-liberalen Kapitalismus, es werde keine Kriege mehr geben, weil der globalisierte Handels- und Finanzverkehr alle ideologischen Gegensätze gegenstandslos mache, entfachte eine z.T. euphorische Stimmung.
33 Jahre später erkennen wir, dass diese Phantasien die destruktive Wirkung von Machtgier, Arroganz und Verlogenheit verdrängt haben. Tatsache aber ist:
Die Erde ist, trotz Warnungen seit 1972, gefährdeter denn je; ein irrwitziges Jagen nach neuen politischen Koalitionen füllt die Nachrichtensendungen, das Jahrtausende alte Hegemonialstreben schürt Kriege überall auf der Welt und durchbricht als sicher geachtete Handelsketten. Seit 1990 ist die Kluft zwischen der überwältigend großen Menge der Armen und Hungernden und dem einen Prozent der Superreichen so groß wie im Mittelalter geworden.
Nie in der Geschichte gab es so viele Menschenrechtsverletzungen wie heute, die Korruption blüht allerorten, nein, nicht nur in Lateinamerika oder Osteuropa, auch bei uns, nicht zuletzt unter unseren Abgeordneten. Deutschland ist berühmt als El Dorado für Geldwäscher, für Drogenhandel und Zwangsprostitution.
Die Propaganda von der Werte-basierten Demokratie ist der Nebel, in dem unsere Minister und der Kanzler vor Autokraten und Diktatoren zu Kreuze kriechen, um uns die Wohlstandsinsel irgendwie zu sichern. Die EU ist vielleicht nach innen ein Friedensprojekt. Nach außen agiert sie wie eine gut organisierte Räuberbande und verwandelt sich in eine Festung. Die so genannte Entwicklungshilfe hat neokoloniale Züge und erinnert an das Einflussgeschacher im einstigen kalten Krieg.
Das Geschrei von wertebasierter Demokratie und Menschenrechten ertönt nur, wenn es machtpolitisch in den Kram passt.
Es ist, liebe Geschwister, wie es um Israel in alter Zeit und gegenwärtig wohl wieder steht. Was im Buch Jesaja in den voran stehenden Versen steht, ist symptomatisch auch für die Völker der Heidenwelt, ja, auch für die Völker des so genannten christlichen Abendlands. In den Versen 13 -16 lesen wir: „Weil dieses Volk mit seinem Mund sich naht und mit seinen Lippen mich ehrt, aber sein Herz fern von mir hält und ihre Ehrfurcht vor mir nur angelerntes Menschengebot ist, darum, siehe, will ich weiterhin wunderbar und wundersam mit diesem Volk handeln….Wehe denen, die ihren Plan tief verbergen vor dem Herrn und deren Werke im Finstern geschehen, und die sagen: Wer sieht uns, und wer erkennt uns?“
Wir Christinnen und Christen sind auch nicht frei von der Gefahr, uns in überlieferten Frömmigkeitsformen zu bewegen und uns durch die Fährnisse der Zeit irgendwie durchzuwursteln, nach dem Evangelium des Kölschen Buddhismus: „Et is wie et is, et kütt, wie et kütt, un bis jetz hätt et immer noch jot jegange.“ Wir werden vom Propheten trefflich als blind und taub angesprochen: „Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.“ Damit wir nicht ins politische Kreuzfeuer geraten oder gar im Freundeskreis ins Gerede kommen.. Aber Gott verspricht uns offene Augen und ein waches Hören auf sein Wort. „An jenem Tage werden die Tauben die Worte des Buches hören, und aus Dunkel und Finsternis hervor werden die Augen der Blinden sehen.“ Wir werden von Gott nicht abgeschrieben. Das ist doch ein wunderbares Geschenk angesichts unserer erbärmlichen Situation.
Aber Gott handelt nicht nach Schema „F“. Er nimmt Partei für die Armen und Gedemütigten. Diese Erkenntnis ist seit den 80er Jahren programmatisch für das Handeln auch der Kirchen geworden. Der Weltkirchenrat hat seit 1983 das Motto „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ unter dem Vorzeichen der „vorrangigen Option Gottes für die Armen“. Natürlich ist die Gefahr von Lippen- bekenntnissen auch jetzt nicht gebannt, so nach dem netten Spruch: „Ich bin ganz anders als ihr denkt; ich komme nur so selten dazu.“ Aber von Gottes Parteinahme für die Armen und Gedemütigten wird jedenfalls nichts mehr abgemarktet. Das ist was Anderes als eine herunter gekommene protestantische Frömmigkeit, die wie im Karneval singt: „Wir sind alle kleine Sünderlein, s’war immer so, s’war immer so.“
„Die Demütigen werden mehr Freude im Herrn haben, und die Armen unter den Menschen werden jubeln über den Heiligen Israels.“ (V. 19)
Der Predigtabschnitt aus dem Buch Jesaja differenziert scharf nach Adressaten:
„Denn der Gewalttätige ist nicht mehr da und der Spötter geht zugrunde.Und ausgerottet werden alle, die auf Unheil bedacht sind, die den Menschen in einer Rechtssache schuldig sprechen und dem Schlingen legen, der im Tor über Recht und Unrecht entscheidet, und mit nichtigen Beweisgründen den Gerechten aus seinem Recht verdrängen.“ (V. 20f) So etwas wagen Kirchen zwar immer einmal allgemein zu verlautbaren, aber die prophetische Zuspitzung fehlt, wenn es z.B.um die Haushaltspolitik der Bundesregierung, um die Rechtssetzung der EU oder um Gerechtigkeit für die Menschen im Süden dieser Welt geht. Das machen dann Nichtregierungsorganisationen – und werden prompt mit Kürzungen von Haushaltszuschüssen kalt gestellt (bpb z.B.).
Aber Gott lässt sich nichts abmarkten! Erinnert wird an den mühsamen Weg Abrahams von seiner Heimat über Ägypten ins verheißene Land. Der Weg des Stammvaters Israels wird erinnert. Durch alle Mühen, Ängste und Verfehlungen hindurch wurden Abraham und Jakob von Gott auf ihren Wegen begleitet und geschützt. Im Geiste dieser Tradition wird auch Israel erlöst und erfreut werden.
Es muss sich nicht mehr schämen und vor Furcht erblassen. (V 22) Die Verheißung blühender Landschaften im Libanon und auf dem Karmel wird sichtbares Zeichen auch der sozialen Verwandlung des Volkes Israel. Wie fast überall in den Büchern des Ersten Testaments sehen wir, dass menschliches Handeln auch die natürlichen Grundlagen des Lebens bestimmt, zum Guten wie zum Bösen. Wir wissen heute, wie wahr diese biblische Weisheit ist.
Die Verheißung am Schluss unseres Predigtexts ist: „..wenn seine (Jakobs) Kinder das Werk meiner Hände in seiner Mitte sehen, werden sie meinen Namen heiligen ….und den Gott Israels fürchten. Und die mit irrendem Geist werden Einsicht kennen, und Murrende werden Belehrung annehmen.“ (V23f) Will sagen: Gott lässt sein Werk, die Schöpfung und den Bund mit Israel und der Völkerwelt nicht vor die Hunde gehen. Gott versichert, dass niemand und nichts seine Hingabe an uns Menschen ins Reich der Märchen verbannen.
Bleiben drei Fragen: Die erste: „Was geht uns das an? Es ist doch ein Wort an Israel!“ Wie ich schon sagte, finden wir die Situation Israels in uns und in allen Staaten dieser Welt wieder. Was Glaube und Unglaube, was Recht und Barmher- zigkeit, Zynismus und Unterdrückung bedeuten, Heiligung des Namens Gottes und Resignation, das Alles und mehr finden wir in der Geschichte Israels und in den Weisungen der Tora.
Zweite Frage: „Was können wir von der Geschichte des Volkes Israel lernen?“
Nun, wir finden einen ausgeprägten Realismus, in Bezug auf einzelne Menschen, auf politische Konstellationen und auf gesellschaftliche Situationen. Wir finden einen beeindruckenden Geschichtsrealismus, der sich von ideologischer Träumerei radikal unterscheidet. Nicht die Utopien erlösen. Sie können zu Terror-Regimen führen. Alle Entwicklungen werden daran gemessen, ob wir im Geist und nach dem Buchstaben der Heiligen Schrift handeln oder nicht. Wir lernen für unser persönliches und gesellschaftliches Leben: „Nur, wo der Alltag eines Menschen und einer Gesellschaft durchdrungen ist von der auf Recht und Gerechtigkerit basierenden Menschlichkeit, ist auch die „Heiligung Gottes“ möglich geworden. Gott „heiligt“ man durch die Tat, durch die Umkehr zu Ihm, die immer eine Absage von all dem ist, was Menschen Menschen an Schrecklichem zuzufügen vermögen.“ (Roland Gradwohl, Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen, Bd.I, S. 174)
Und zuguterletzt: Predige ich etwa im Auftrag einer Vertröstungsagentur? Die brennende Frage ist doch: Wann kommt denn das glückliche Ende! Leben wir nicht in einer Kindertraumwelt, wenn wir diese prophetischen Worte ernst nehmen? Im Libanon herrscht Chaos, und die Klimakrise wütet im Nahen und mittleren Osten mit sengender Dürre. Das einstige Paradies an Euphrat und Tigris ist eine Wüste.
Ich weiß von mir selbst, dass immer wieder die schleichende Gefahr droht, die Verheißungen der Bibel wie einen Schicksalsroman zur gelegentlichen Aufhellung der Stimmung zu lesen. Indes hält uns die Wirklichkeit zumeist so gefangen, dass wir im Alltag atheistisch leben.
Es ist vielleicht so, weil wir vom Propheten als Blinde und Taube dargestellt werden. Es wird erzählt, dass der chassidische Rabbi Levi Jizchak von Berditschev den Widerstand eines ihn besuchenden Aufklärers gebrochen hat, indem er Mal um Mal zu ihm sagte. „Vielleicht ist es aber wahr“, und schließlich: „Mein Sohn, die Großen der Thora, mit denen du gestritten hast, haben ihre Worte an dich verschwendet, du hast, als du gingst, drüber gelacht. Sie haben dir Gott und sein Reich nicht auf den Tisch legen können, und auch ich kann es nicht. Aber, mein Sohn, bedenke, vielleicht ist es wahr.“ Der Aufklärer bot seine innerste Kraft zur Entgegenung auf; aber dieses furchtbare ‚Vielleicht‘, das ihm da Mal um Mal entgegenklang, brach seinen Widerstand.“ (M.Buber, die Erzählungen der Chassidim, 1949, S 364)
Am Ende meiner Predigtvorbereitung begann es in mir zu singen, ja, zu jubeln, so dass mein ganzer Körper von Schauern durchzogen wurde: das „Sanctus“ aus Bachs h-moll Messe erfüllte mich mit tiefer Freude. Der Lobpreis der Serafim im Jerusalemer Tempel erschallt zu Beginn der Berufung des Propheten Jesaja.
„Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heerscharen. Sein herrlicher Glanz erfüllt die ganze Erde.“ (Jes 6). Wenn wir dieses „Sanctus“ nun gemeinsam hören, wünsche ich uns, dass Gottes erhabener Glanz uns alle mit Frieden und mit Freude erfüllt.
Folgt: Sanctus aus der H-moll Messe von J.S.Bach
Und der Friede Gottes, der all unsere Vernunft und unsere Erfahrungen überragt, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen