Gottesdienst am 2. Sonntag nach Epiphanias in der Ev. Kirchengemeinde Oberwinter (19.1.2020), gehalten von Pfarrer. i.R. Wilfried Neusel

Liebe Mitglieder, Freundinnen und Freunde der Gemeinde, ich begrüße Sie herzlich mit dem Wochenspruch aus Johannes 1: „Von seiner Fülle haben wir genommen Gnade um Gnade.“ (V16)

Wir finden hier in dieser Kirche unsere Zuflucht mit unseren Sorgen, unseren Zweifeln, mit unserem Zorn, mit unserer Ratlosigkeit und mit unserer Sehnsucht nach Achtsamkeit, nach gegenseitigem Respekt und nach gerechtem Frieden unter uns Menschen. Ja und auch nach Frieden mit der wunderbaren Schöpfung unseres Gottes.
Deshalb sind wir hier versammelt im Namen des Einen Gottes, der uns Vater und Mutter ist, im Namen des Sohnes und des Heiligen Geistes.
G: Amen
Unser Anfang und unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, G: der Himmel und Erde gemacht hat, P: der Bund und Treue hält und nicht preisgibt das Werk seiner Hände.
P: Lasst uns das Lied 388, 1-4 singen.
P. Wir beten gemeinsam den Psalm 86 ( EG 737,1166)
P: Lasst uns beten! Du Ewiger, wir rühmen Dein kostbares Engagement für deine Schöpfung, wir preisen deine Leidensbereitschaft, deine Geduld, deine unendliche Großzügigkeit und Liebe. Du weißt, wie es um uns steht. Wir fühlen uns angesichts der Konflikte in unserer Welt, ja schon angesichts der Konflikte in unseren Familien und in unserer Nachbarschaft oft ohnmächtig. Aber wir wollen auch nichts riskieren, was uns richtig was kostet. Wir haben uns an unser Wohlleben gewöhnt und sehen es insgeheim als selbstverständlich an. Wir wollen uns mit der Strenge deines Wortes keinen Ärger einhandeln. Am liebsten möchten wir in Ruhe gelassen werden. Erbarm dich unser und mach uns bereit, uns für einen gerechten Frieden aufs Spiel zu setzen. Du bist doch allein der, der uns verwandeln kann. Herr, erbarme dich.
G: EG 178.12 Kyrie eleison

P: Gnadenspruch: Das Losungswort des heutigen Tages aus Hesekiel 18 weise uns den Weg: „Wenn sich der Ungerechte abkehrt von seiner Ungerechtigkeit, die er getan hat, und übt nun Recht und Gerechtigkeit, der wird sein Leben erhalten.“ (Vers 27)
P: Ehre sei Gott in der Höhe…
G: Gloria: Allein Gott in der Höh sei Ehr…
P: Wir beten: Du Gott des Lebens kommst in unsere Welt, damit wir sehen, wie es um uns steht, damit wir erkennen, worum es wirklich geht, damit wir finden, was dem Leben dient. Bring uns zurecht Gott, durch deine Weisheit, durch deinen Geist!
Das erbitten wir von dir im Namen Jesu Christi, der mit dir und dem Heiligen Geist lebt und Leben schafft von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Wir hören das Evangelium des heutigen Sonntags. Es steht bei Johannes im 2. Kapitel, Verse 2-11.
L: Lesung Joh 2,1-11
L: Worte der Heiligen Schrift
G: Dank sei Gott
L: Halleluja-Vers
G: Halleluja ….

P+G: Lasst uns Gott loben mit dem Bekenntnis des Glaubens: Sie finden das Bekenntnis unter der Nummer 817 (S 1246)
P+G: Lied EG 649, 1-4. Während des Liedes sammeln wir die Kollekte für…
P: Ich lese den Predigttext für den heutigen Sonntag aus Jeremia, Kapitel 14, die Verse 1-9, und zum besseren Verständnis des prophetischen Wortes bis zum Vers 15:

Liebe Gemeinde, ich muss gestehen, dass ich angesichts dieser Worte zwei Wochen schlecht geschlafen habe und immer noch ziemlich durcheinander bin.
Ich lese und höre sie zugleich mit den Berichten über den Mega-Brand in Australien, über die anhaltenden Brandrodungen im Amazonas, mit Berichten über das rapide Abschmelzen der Pol-Kappen und der Gletscher. Und ich höre die beschwichtigende Propaganda der Leugner einer Klimakrise, ich höre die vagen Versprechungen der Regierungen. Im er wieder dasselbe Mantra: technologische Innovationen werden uns helfen die Klima-Neutralität zu gewährleisten.
Aber die Mineralöl-Konzerne, die Energiewirtschaft, die Agro-Konzerne und die Automobil-Industrie machen weiter wie bisher. Noch nie sind so viele SUVs verkauft worden wie im vergangenen Jahr! Elektro.Mobilität ist keine wirkliche Alternative. Ich sehe den Siemens-Chef Kaeser mit Bedenkenträgermiene auf dem Bildschirm, aber Siemens liefert trotzdem sensible Technologie nach Saudi Arabien und für ein neues Kohlekraftwerk nach Australien! Ich lese vom Jubel der Wirtschaft über ein Freihandelsabkommen mit Brasilien, Argentinien und weiteren südamerikanischen Staaten. Ja, es läuft immer noch alles wie geschmiert – auf Kosten der großen Mehrheit der Weltbevölkerung. Bitte, bitte keine untragbaren Auflagen für die Wirtschaft!! Was tragbar ist, definiert die Wirtschaft selbst und treibt es durch Tausende ihrer Lobbyisten in die Hirne und Drucksachen der Politiker und Politikerinnen. Wir leben offensichtlich nicht nur in Deutschland von der Substanz, wir zehren von der Substanz der Schöpfung Gottes weltweit. Wir: das waren um 1900 eine Milliarde Menschen weltweit. Jetzt sind es schon mehr als 7,7 Mrd. Unser Ressourcenverbrauch ist heute 3000 Mal höher als 1850.
Da die Eliten in Wirtschaft und Politik abgehoben vom Alltag der Menschen leben und sich zur Erholung die schönsten Orte der Welt gekauft haben, sehen sie das alltägliche Elend, das durch den Klimawandel jetzt schon existiert, nicht. Was interessiert es die Konzernspitze von Coca Cola, wenn indische Bauern zu Tausenden Suizid begehen, weil der Konzern von der indischen Regierung freie Fahrt für das Bohren tiefer Brunnenlöcher hat, die den Bauern das Wasser abgraben? Wen interessieren die Millionen indischer Kleinbauern, die Suizid begangen haben, weil das Hybrid-Getreide der Agro-Konzerne für sie nicht mehr erschwinglich ist oder weil die Ernten durch Schädlinge so mager ausfallen, dass sie sich verschulden müssen?
Wer kümmert sich um die Millionen Fischer, denen die großen Trawler den Fang geklaut haben? Wen aus dem Agro-Business schert es, dass Bienen und andere Insekten bald ausgestorben sind? Wer aus dem Big Business respektiert die Rechte der Indigenas? Sie wissen, wir könnten jetzt hundert weitere Beispiele an- führen. Und, was wir nicht vergessen dürfen: die allermeisten MittelständlerInnen auf der Welt können sich auch nicht vorstellen, ihren Lebensstandard herunter zu schrauben.
Was da zur Zeit des Jeremia geschieht, ist grausam. Das Bezeichnende ist: auch die Reichen gehen leer aus. Sie können noch ihre Diener zu den Brunnen schicken. Aber ihre soziale Macht nützt ihnen nichts. Da ist kein Wasser mehr. Die Tiere schnappen nach Luft. Und das blüht ja auch uns, den im Weltmaßstab immer noch sehr Wohlhabenden. Wenn der Meeresspiegel durch die Erwärmung ständig steigt und der Meeresboden in unvorstellbar großen Mengen Methan freigibt, wenn die Permafrost-Regionen in der nördlichen Hemisphäre tauen und ebenso grausam konzentriert Methan freigeben, wird es einen erbarmungslosen Überlebenskampf der Weltbevölkerung um Wasser und Luft geben. Meine Enkelkinder werden sich mit einer Milliarden großen Migrationsbewegung aus Afrika und Asien auseinander-setzen müssen und zu verantworten haben, ob die Wohlhabenden sie mit militäri-scher Gewalt vom Erdboden verschwinden lassen, oder ob sie an einem quälenden Prozess des Teilens teilnehmen.
Den Milliarden wird die Luft ausgehen, wie auch dem unschuldigen Wild und den Haustieren. Die Eliten des Königreichs Juda frönten gern den Baalen und anderen Fruchtbarkeitsgöttern der sie umgebenden Großmächte, schon zu Zeiten des Elia. Doch siehe da: nicht Überfluss, sondern Dürre ist das Resultat! Das ist dasselbe wie das baalistisch proklamierte Wirtschaftswachstum heute.
Unsere Geistesgeschichte trägt zu dieser Dynamik ein gerüttelt Maß bei. Die katholische Kirche hat nicht die jüdische Anthropologie übernommen, sondern Plato und Plotin und später Aristoteles. Und immer kommt Leibfeindlichkeit dabei heraus.
„Geist und Seele machen den Menschen aus.“ Später kamen die Aufklärer Descartes und la Mettrie und suggerierten, der Leib des Menschen sei ein Apparat, eine Maschine. Auch der viel gepriesene Herr Goethe propagiert am Schluss von Faust II „Uns bleibt ein Erdenrest zu tragen peinlich. Und wär er von Asbest, er ist nicht reinlich.“ (V 11954ff)
Erst Marx und Freud, beide Juden, haben uns an unsere Leiblichkeit und an unsere Sozialität erinnert. Der Idealismus trägt Mitschuld am Exzess der Industrialisie-rung! Heute regieren die postmodernen Eliten, die jegliche Bedeutung relativieren.
Bedeutung hat, was herrschende Meinung ist.
Nun – Israel zieht die Reißleine: Oft sind wir treulos gewesen, wir haben gesündigt gegen dich! Und dann das wohlfeile Plädoyer: Handle um deines Namens willen! So sagte es auch der berühmte französische Philosoph Voltaire: Es ist das Metier Gottes zu vergeben. Oder wie Oskar Matzerat in der Blechtrommel (Grass) dem Gekreuzigten über dem Altar einer Kirche angesichts des verheerenden Bomben-hagels um die Ohren haut: „Du kannst doch sonst alles.“ Aber Gott ist nicht in der Mitte des Volkes. Er ist wie ein Fremder im Land und verbietet Jeremia, für sein Volk zu bitten. Gott akzeptiert auch nicht den Einwand, das Volk sei den Lügen-propheten auf den Leim gegangen, die mit der Propaganda durch die Lande zogen, Hunger und Schwert werde nicht über die Menschen kommen. Beständigen Frieden solle das Volk genießen! Es ist so wie in der Geschichte vom reichen Mann – ihm wird bezeichnenderweise kein Name geschenkt – und dem armen Lazarus: „Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht.“ (Lk 16,31) Es ist uns nicht erlaubt, im Bedarfsfall Jesus Christus wie ein Kaninchen aus dem Hut zu ziehen, nach dem Motto: Die Zeit Israels war ja die Zeit des Gesetzes. Wir aber leben von der Gnade! Schon Dietrich Bonhoeffer kämpfte in der Not gegen die „billige Gnade“. Und ein Liedermacher hatte in den 70er Jahren eine Passage im Song: „Ja, ja, die Gnade! Und die Gnade sitzt in der Orgel und kichert.“
Wir haben bisher die apokalyptischen Passagen der Bibel mit gewaltiger Distanz zur Kenntnis genommen und Science Fiction Literatur und Kinowelt das apokalyptische Genre überlassen. Nach dem Inferno der faschistischen Ära in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts und den zwei Weltkriegen haben wir uns eine Gemütlichkeit angeeignet, als wäre die Welt ein immer blühender und Frucht bringender Schrebergarten.
Ich habe mich in den vergangenen Jahren oft gefragt: Was willst du angesichts dieser niederschmetternden Dynamiken ausrichten? Was ist, wenn Gott wirklich auf unabsehbare Zeit abwesend ist? Was ist, wenn unser Schrei nach Gnade ungehört verhallt? Eine Antwort hat wiederum Dietrich Bonhoeffer uns gegeben: Wir sind verantwortlich für Gottes Schöpfung und für die Menschheitsgeschichte, wir sollen nach dem Wort der Tora und der Propheten handeln und nicht Gott aus dem Hut zaubern, wenn es brennt. Volle Verantwortung für unser Tun und Lassen!
Das andere ist, dass wir doch nicht nur so zum Spaß und zur geistigen Erbauung Glieder der Gemeinde Jesu Christi sind. Wir haben den Auftrag, in unseren Familien, unter unseren Freunden und Nachbarn, in der Öffentlichkeit unserer Kommune und auch in der Arbeitswelt eine Spiritualität der Achtsamkeit zu wecken. Unsere biblische Botschaft zeigt uns aufs Deutlichste, dass Habgier eine Sucht ist, die geheilt werden kann. Der Wachstumsfetischismus ist eine Sucht wie Alkoholmissbrauch und Drogenkonsum. Die Süchtigen wissen um ihren Untergang. Aber voller Verzweiflung dröhnen sie sich voll. Die Botschaft Jeremias und der ganzen biblischen Überlieferung zeigt uns, dass Verzicht fruchtbar ist. Sie zeigt uns, dass ein Leben im gerechten Frieden miteinander und mit der Schöpfung die einzige wirkliche Grundlage von Nachhaltigkeit ist. Ganz nüchtern betrachtet geht es um eine eminent spirituelle Aufgabe: Rücksichtslosigkeit und Gier zu verwandeln in Solidarität und Bescheidenheit.
Wir haben noch Zeit, unsere spirituelle Aufgabe einzuüben. Gebe Gott uns die Kraft und den Mut und die Kreativität dazu. Und der Friede Gottes, der weiter reicht als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen in Christus Jesus. Amen

G: EG 428, 1-5

P: Unsere Fürbitte ist aus der Botschaft des Weltrates der Kirchen von 1948
„Wir wollen Gott bitten, uns miteinander zu lehren, dass wir ein echtes Ja und ein echtes Nein sprechen. Ein Nein zu allem, was der Liebe Christi zuwider ist, zu je- dem System, zu jedem Programm, zu jedem Menschen, der einen anderen Menschen behandelt, als wäre er nicht Gottes Geschöpf, sondern ein Stück Ware,das man ausnützen kann; ein nein zu denen, die im Namen der Ordnung das das Unrecht zum Recht machen, zu denen, die die Saat des Krieges sähen oder zum Krieg drängen, weil er doch unvermeidbar ist.
Ein Ja aber zu Allem, was mit der Liebe Gottes zusammenstimmt, zu allen
Menschen, die das Recht aufrichten, zu allen, die in der Welt einen echten Frieden schaffen möchten, zu allen, die um der Menschen willen hoffen, kämpfen und leiden, ein Ja zu allen denen, die – selbst ohne es zu wissen – sich ausstrecken nach einem neuen Himmel und einer neuen Erde, in welcher Gerechtigkeit wohnt.“

G: Wir beten gemeinsam „Vater Unser..“

P: Segen. Der Gott des Friedens heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. Treu ist er, der euch ruft; er wird’s auch tun. Amen (1 Thess 5, 23f)