Stichworte zur Predigt über Apostelgeschichte 17, 22-34 (Wilfried Neusel)

1. Im Zentrum der Apostelgeschichte das Auftreten des Paulus in Athen. Trotz des politischen Niedergangs nach der Ära Alexanders des Großen ist Athen ein Zentrum des geistigen Austauschs. Nach Lukas gaben die Stoiker und Epikuräer den Ton an. Die Stoiker pflegten eine auf Ganzheitlichkeit der Welterfassung gerichtete Betrachtungsweise. Alle Naturerscheinungen sind Ausdruck einer kosmischen Harmonie. Der Mensch soll durch Selbstbeherrschung und Gelassenheit seinen Platz im Kosmos finden.
Seelenruhe führt zur Weisheit.

2. Wie die Stoiker strebten auch die Epikureer nach individueller Seelenruhe, nach Glück, das im Erwachsenenalter gewonnen wird durch die Fähigkeit, einsichtsvoll, vollkommen und gerecht zu leben. Also ein ethisch geläuterter  Hedonismus. Das Weltbild ist materialistisch und deterministisch. Die Konstellationen der Atome sind ausschlaggebend. Gott hat mit der Welt keine direkte Verbindung.

3. Paulus ist als Flüchtender nach Athen gekommen. Er wurde von aufgebrachten Juden der Synagoge von Thessaloniki verfolgt und bei den staatlichen Behörden des Aufruhrs bezichtigt. Paulus und seine Gefährten behaupteten, nicht der Kaiser, sondern Jesus sei der König. Teils verständlich, denn die Judenheit wurde im ganzen römischen Reich immer wieder von heidnischer
Bevölkerung diskriminiert und verfolgt. Ein messianisches Judentum würde die Konflikte nur verschärfen.

4. Paulus erkundet die Stadt mit Ingrimm, ähnlich wie einstmals die jüdischen Propheten in ihrer Umgebung und im Exil. Paulus redet wie üblich zuerst mit Mitgliedern der örtlichen Synagoge, dann aber auch regelmäßig mit Menschen auf der Agora, dem Marktplatz. Das war der zentrale Ort geistiger Auseinandersetzung. Stoische und epikureische Philosophen, die dort zur Zeit den Ton angaben, betrachten ihn als Schwätzer, wörtlich: als Saatkrähe. Die Predigt des Paulus von Jesus und von der Auferstehung wird als Sermon über fremde Götter abgetan. Auf dem Marktplatz soll er seine Lehre vertreten Nach Lukas wurde dies als Zeitvertreib der Athener bezeichnet: Die Agora als Tummelplatz der intelluktuellen und philosphischen Möglichkeiten. Die Frage nach dem rechten Glauben und Leben zur Befriedigung der Neugier und des Tratschs.

5. Paulus, nachdem er die Situation durch Besichtigung der Sadt und manche Diskussionen erkundet hat, eröffnet seine Rede mit wohlwollender Bemerkung über die Frömmigkeit der Leute. Heilige Stätten und ein Altar mit der Überschrift: „Für einen unbekannten Gott.“ Das ist der Anknüpfungspunkt für seine Mission: Gott, der Schöpfer der Welt und aller Kreaturen, der Herr über
Himmel und Erde, wohnt nicht in Tempeln, ist nicht angewiesen auf das Werk von Menschen. Er hat aus einem Menschen die ganze Welt hervorgehen lassen und erhält und nährt seine Schöpfung in kosmischer Ordnung. Er hat seine Geschöpfe mit Sehnsucht nach Gott, nach Gotteserfahrung ausgestattet. Er ist nicht fern von uns. In ihm leben wir und bewegen wir uns.
In ihm ist unsere Existenz begründet und geborgen. Oder: wie einige eurer Dichter sagen: „Wir sind sogar von seiner Art.“ Also bitte keine von Menschen gemachte bildliche Darstellungen mehr! Aber auch nicht Esoterik oder Pantheismus.

6. Gott hat in vergangenen Zeiten Nachsicht geübt, fordert aber jetzt alle Menschen zur Umkehr auf. Denn Gott hat einen Tag des Gerichts festgesetzt. Das geschieht durch einen von Gott autorisierten Mann, den Gott von den Toten auferweckt hat. Er wird Gerechtigkeit walten lassen. Hier bedeutsam: Gerechtigkeit zu schaffen ist mehr als individueller Seelenfrieden.

7. Unterschiedliche Reaktionen: Gelächter, Vertröstung auf ein „andermal“, aber auch Zustimmung. Dionysius und Damaris sind namentlich erwähnt. Dionysius gehörte dem Areopag an, dem höchst angesehenen Rat der Stadt. Damaris: die Geliebte.

8. Klagen und Fragen unserer Gemeinden heute: Wir werden weniger, wir verlieren an Bedeutung in unserer Gesellschaft. Die verschiedenen Interessengruppen der Gemeinde haben den Gottesdienst nicht mehr als Zentrum. Spiegel der Gesellschaft: Jeder und Jede machen, was sie wollen. Isolation und individuelles Glücksstreben, vor allem durch Konsum. Coaches und Influencer befeuern das mit ihren Sendungen im Netz. Soziale Bindungen schwinden, auch gemeinsame Überzeugungen. Oft kein Gespür für die Unterscheidung von realer und virteller Welt.

9. Die Frage ist, welche Botschaft wir haben. Mit Event-Hascherei gewinnen wir nur kurzfristig Aufmerksamkeit. Wir sollen getrost Fremdsein aushalten Bei religiösen Gefühlen anzuknüpfen, ist nicht falsch, so Paulus, aber Fakt ist, dass das Evangelium, die frohe Botschaft, zur Umkehr ruft. Unser Glaube ist nicht einfach die Bestätigung unserer religiösen Sehnsucht. Wir dürfen nicht im religiösen Egoismus stecken bleiben. Es geht Gott nicht nur um unser individuelles Seelenheit oder um unser so genanntes anständiges Leben. Es geht in der Gemeinde um die Nachfolge Jesu
Christi, um das Eintreten für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Es geht um Kampf gegen die Korruption des Denkens, gegen die Arroganz der Reichen und Superreichen und für das Leben der Mehrheit unserer Weltbevölkerung, die im Elend lebt. Es geht um Wahrheit, um Versöhnung, um Feindesliebe.

1o. Zu unserer Mission gehört wie bei Paulus die Kenntnis der geistigen und geistlichen Situation, um Risikobereitschaft in Auseinandersetzungen, darin letztlich um die Widerspiegelung der liebenden Zuwendung Gottes. Haben wir bei allem einen Grund zu jubeln? Ja, in Ihm leben wir, sind mit Leib, Seele und Geist bei Gott aufgehoben. Wir sind ihm nah und kostbar.