Predigt zu Philipper 2, 5-11 am Palmsonntag 2024 in Oberwinter von Michael Schankweiler

Mindestens durch zwei Gegebenheiten wurde das Judentum zu einer Weltreligion. Einmal dadurch, dass man vor die Volks- und Stammeserzählungen über Abraham, Isaak und Jakob die Urgeschichten setzte, von der Schöpfung der Erde, von Adam und Eva, den ersten Menschen, vom Turmbau zu Babel und der Sprachenverwirrung und Noahs Arche. Dann aber auch dadurch, dass man die hebräische Bibel in die die damalige Weltsprache übersetzte. Eine Sprache, die in der damaligen Welt alle beherrschten und die Völkergrenzen überwand: Die griechische Sprache. Es entstand eine Bibel, die von 70 Gelehrten bearbeitet ward: Die Septuaginta…..das heißt auf Griechisch: 70. Und mit ihr wurde das Judentum für die philosophische Welt des Griechentums „salonfähig!“. Eine jüdische Philosophie entstand. Denker, Künstler, Poeten schufen sprachliche Kunstwerke, Lieder, Gedichte, Hymnen. Es war eine Periode, in der durch Sprache und Kultur „Schätze“ der Weltliteratur das Licht der Welt erblickten.

Einen solchen Schatz haben wir heute als Predigttext. Er wurde von dem Apostel Paulus in seinen Brief an die Philipper eingebaut. Ein Lied, ein Carmen Christi, einen Hymnus auf das, wer Jesus war. Einen Hymnus auf das, was Jesus tat. Und was es für uns bedeutet.

Text

Jesus war – und das kann man bis heute im Alten Testament lesen – beim Propheten Daniel: Der Menschensohn. Eine Figur, ein Retter, der von Gott gesendet wurde, um Gerechtigkeit zu bringen, Gerechtigkeit und Frieden. Aber nicht durch Gewalt und Macht, sondern durch gehorsames Dienen. „ Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe für viele Menschen zur Rettung.“ Dieser Gedanke ist in diesem Lied verarbeitet.

Dann hören wir von einem Knecht. Er wird uns bei Jesaja beschrieben. Ein Knecht, der unsere Not, unsere Schuld, unsere Krankheit trägt, uns alles abnimmt, damit wir frei würden. „Fürwahr er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen“, heißt es.

Menschensohn und Knecht, diese Figuren aus dem Alten Testament hat der Poet dieses Liedes in seiner Dichtung verarbeitet. Jesus war der dienende Menschensohn, der Richter und Retter. Er war der Gottesknecht, der unsere Sünde auf sich lud und wegtrug.

Und nun kommt noch ein Gedanke dazu, gleich am Anfang, der im Zusammenspiel von griechischer Philosophie und jüdischer Theologie entstanden ist. Nämlich,  dass die Retterfigur schon seit der Schöpfung, seit allem Beginn zu Gott gehörte. „In göttlicher Gestalt war“ – göttlich war. Auf die Seite Gottes gehörte und gehört. Zur Zeit des Paulus, der in der Hochzeit jüdischer Theologie und Philosophie lebte und viele dieser Schriften kannte, nimmt diesen „modernen“ – damals modernen Gedanken auf – nimmt dieses Lied, um zu zeigen, wer Jesus war. Jesus war dieser Menschensohn, Jesus war der Knecht Gottes. Jesus gehört seit Anbeginn zu Gott.

Wir merken vielleicht, dass wir uns hier einer gefährlichen Grenze nähern. Die Grenze, die der Monotheismus setzt. Gott ist nur einer. Darum setzte Paulus, um das klar zu bekennen, Gott ist nur Einer, am Ende des Liedes die klärende Aussage:…..“Jesus Christus ist der Herr, zur Ehre Gottes, des Vaters“

Jesus ist nicht Gott, aber im Auftrag Gottes dazu bestimmt, die Welt wieder heil und gut zu machen, Gottes Wort in Geltung zu bringen.

Gott bleibt Gott, aber es wird ja auch erzählt, dass er selbst bei der Schöpfung nicht alleine war. Sein Geist schwebte über den Urwassern. Und es wird erzählt, dass die Weisheit, Frau Weisheit vor ihm spielte. Und es wird erzählt, dass die Schechina, wiederum eine weibliche Figur, die Kinder Israel auf ihren Wegen begleitete. Und das die Engel Gottes Menschen begegneten. Gott ist nie allein. Um ihn herum sind seine Guten Mächte, wie es Dietrich Bonhoeffer ausdrückte. Und Jesus, so besingt es das Lied, gehört zu diesen guten Mächten, von denen es mehr gibt als nur ihn. Für die „junge“ Gemeinde des Paulus in Philippi, ist aber nun maßgeblich Jesus Christus, den sie als ihren Herrn anerkennen.

Vielen Auslegern machte schon der erste Satz, bzw. der erste Vers des Liedes großes Kopfzerbrechen, wie man das denn verstehen soll: „Er hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein.“….Was ist denn damit gemeint?

Dass man in Jesus schon zu seinen Lebzeiten etwas Besonderes erkannte, Göttliches, das wird uns ja berichtet. Nehmen wir das Johannesevangelium, wo es heißt:…..Und wir sahen seine Herrlichkeit!“ Einige haben das Bild vom Räuber so gedeutet: „Jesus behielt seine vorgeschichtliche Gottgleichheit als Mensch, aber er umklammerte sie nicht wie ein Räuber seinen Raub?“ Wenn man dem griechischen Wort für Raub einmal im Lexikon nachgeht, kommt man zu einer anderen Übersetzung. Nämlich: Nicht Raub, sondern Glücksfund. Er hielt es nicht für einen Glücksfund – nicht für das große Los – den man zu seinem Vorteil und ohne Verantwortung verwendet. So handelte Christus nicht – so hätten wir Menschen gehandelt. Er sah seine Gleichheit mit Gott nicht als Glanz an, in dem er sich sonnen konnte, verzichtete, vertauschte die Gottgleichheit mit der Knechtsgestalt. Zum Wesen wahrhaft, gottgleicher Gesinnung gehört die sich opfernde Liebe.

Was damit gemeint ist, wird vielleicht deutlicher, wenn ich von Dietrich Bonhoeffer und Leo Baeck erzähle.

Dietrich Bonhoeffer hätte im Jahr 1939 – kurz vor Anbruch des Krieges in die USA gehen können. Er war den Nazis ein Dorn im Auge, war engagiert in der oppositionellen Bekennenden Kirche und musste mit dem Schlimmsten rechnen. Er hätte in den USA das sichere Leben eines sicher wohl anerkannten Theologieprofessors führen können. Damals war die Möglichkeit der Einreise in die USA für viele Flüchtende wie ein 6 er im Lotto gewesen – wie einen Glücksfund. Bonhoeffer war dann in den USA. Ein schlimmer Gewissenskampf tobte in ihm. Er ist dann quasi mit dem letzten Schiff nach Deutschland zurückgekommen. Er verzichtete bewusst auf die Möglichkeit der Rettung, bewusst ging er ins Leiden und dann ins Martyrium. „Ich muss nun in den dunkelsten Stunden meines Volkes ans einer Seite sein.

Bei dem jüdischen Rabbiner und dem „Führer“ der deutschen Juden Leo Baeck war es ähnlich. Er sah sich als Seelsorger. Noch im August 1939 fuhr er mit den vielen jüdischen Kindern, für die er Transporte mit Zügen nach England organisierte, mit. Seine Tochter mit Mann wohnte in London. Britische und us-amerikanische Hochschulen boten ihm Professuren an oder die Anstellung als Rabbiner an berühmten Synagogen. Doch auch er ging zurück nach Deutschland, um zu retten, was irgendwie zu retten war. Schließlich ging er mit nach Theresienstadt, um als Seelsorger und Beistand der Vielen in diesem schrecklichen Lager zu wirken. Selbst noch nach der Befreiung durch die Rote Armee blieb er in den Baracken der Thyphuskranken, denen die Freiheit verwehrt wurde und die dann dort starben. Erst danach kehrte der alte 70-jährige Mann zu seiner Tochter und Familie nach London.

Beide gingen gehorsam den Weg der Erniedrigung. Sie gingen den Weg, den Jesus ging, leidend, helfend, nicht in Hoheit, sondern in Niedrigkeit.

Sie gingen und ihre Namen sind nicht vergessen. So wie bei Jesus, der von Gott nicht vergessen wurde und dessen Name von Gott erhöht wurde: „Darum hat ihn auch Gott erhöht und ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist.“

Es ist ein altes, biblisches Motiv, das der Erniedrigung und Erhöhung. Es kommt schon in der Josefsgeschichte vor. „In den Brunnen geworfen – Erniedrigung – Aus dem Brunnen geholt – Erhöhung- Hinunter nach Ägypten gekommen – Erniedrigung – zum Haushalter des Potiphar ernannt – Erhöhung usw………….Es kommt auch hier in Anwendung. Jesus geht mit uns in die Erniedrigung – ins Leiden, in die Schmerzen – in den Tod. Aber bleibt nicht dort, weil Gott ihn an Ostern erhöht und ihm den Namen gibt, der über alle Namen ist.

Nun – warum ist dem Paulus dieses kostbare Stück Poesie – dieses Carmen Christis – so wichtig? Weil er der Gemeinde sagen will, so wie Christus, so wie Dietrich Bonhoeffer, so wie Leo Baeck – so seid auch Ihr!!! gesinnt.

Herzliches Erbarmen und Mitgefühl. Das sei Eure Gesinnung.

Nicht jeden Vorteil ausschlachten. Das sei Eure Gesinnung.

Schauen, ob es dem Anderen gut geht. Das sei Eure Gesinnung.

Bescheidene Zurückhaltung. Das sei Eure Gesinnung.

Dafür könnten wir jetzt viele Beispiele sammeln, wo das in unserem Leben Anwendung finden könnte.