Liebe Schulhofgemeinde, Gnade sei mit uns und Friede und Geistesgegenwart durch Jesus Christus, den Ursprung und Vollender des Glaubens. Amen
Die Mehrheit unserer Bevölkerung verbindet Pfingsten mit schönem Wetter und Ausflügen. Zu Recht können wir Gott dankbar sein, dass uns trotz der Plünderung seiner Schöpfung nicht schon der Untergang blüht. Ja, es gibt noch die Rhein-Romantik! Aber, wie Eckart von Hirschhausen in der neuesten Ausgabe der evang. Kirchenzeitung „chrismon“ vermerkt, konnten wir 2022 an vielen Stellen auch ohne Jesus zu Fuß den Rhein durchqueren, und an der Ahr sind sehr viele Menschen immer noch bemüht, das Unfassbare zu verarbeiten. Er schreibt: „Früher hat man geglaubt, was man nicht wissen konnte. Heute wollen wir nicht glauben, was wir wissen…Wir müssen nicht mehr „das Klima“ retten, sondern uns. Und es „wandelt“ sich auch nicht einfach – sondern wir Menschen erhitzen es und leiden selbst darunter.“ Und weiter:„Wenn wir Menschen ständig betonen, wir sind die intelligen-teste Spezies auf diesem Planeten, warum zerstörfen wir dann unser eigenes Zuhause?“ Er attestiert, dass trotz der Warnungen des Club of Rome 1972 über „Die Grenzen des Wachstums“ und der völkerrechtlichen Klima-Vereinbarung von Paris 2015 „noch kein CO2-Molekül aus der Atmosphäre wieder tief beeindruckt in die Grube nach Garzweiler zurückgekehrt“ ist.
Nun sind aber, liebe ökumenische Gemeinde, die allgemeinen Verzicht-Appelle ein Schuss in den Ofen, wenn wir nicht genauer hinschauen. In Deutschland „emittieren die wohlhabendsten zehn Prozent aller Haushalte .. im Jahr fast sechs- mal so viele Treibhausgase wie die gesamte ärmere Hälfte der deutschen Bevöl-kerung zusammen..Selbst in Deutschland mit seiner vergleichsweise begüterten Mittelklasse emittiert das reichste Prozent der Bevölkerung fast zehnmal so viel CO2 wie die mittleren Einkommenslagen.“ Und so ist es überall. Der World Inequality Report 2022 vermerkt, dass weltweit etwa 770.000 von 8 Mrd Personen für fast vier Prozent aller Emissionen verantwortlich sind. Dazu tragen nicht nur obszöner Überkonsum und Hypermobilität bei, sondern auch gewinnträchtige Investitionen in Industriesparten, die extrem emittieren, also z.B. fossile Energie. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer schneller auseinander. Und so auch die Verantwortung für die Zerstörung der Schöpfung Gottes. Die 11-minütigen Weltraumtrips der Multi-Milliardäre Richard Branson und Jeff Bezos im Jahr 2021 emittierten „so viel, wie die eine Milliarde Menschen am anderen Ende des Wohlstands während ihrer gesamten Lebenszeit emittiert.“ (Sighard Neckel, Blätter für deutsche und internationale Politik 4/23)
Warum behellige ich Sie und Euch damit? Damit wir wach werden und erkennen, dass auch der Umweltschutz, die Bewahrung der Schöpfung Gottes, eine Macht- frage ist. Und unseren Einsatz erfordert, weit über unseren persönlichen Verzicht hinaus.
Man sollte meinen, dass die Wiederkehr des Religiösen in unseren Alltag zur Lösung der Probleme beitragen könnte. Aber weit gefehlt. Der religiöse Fanatismus und Fundamentalismus jedweder Couleur hat zum Ziel, die wahren Ursachen der Krise zu vernebeln und dafür zu sorgen, dass bei weltweit knapper werdenden Lebenschancen die Frauen vom Arbeitsmarkt und von Leitungspositionen verdrängt werden. So auch im politischen Fundamentalismus. Widerstand kann tödlich sein. Derweil lächeln uns überall Influencerinnen mit dem ewig gleichen MakeUp-Lächeln an, um die Flucht in den Konsum und in die Unterhaltungswelt zu beflügeln. Leute: es ist doch alles OK! Wenn alle Stricke reißen, „entfliehe ich mit CASAMUNDO ins Paradies“, mit unglaublichen Angeboten (27.5.)! Das war am Samstag das Pfingstversprechen des Tourismuskonzerns auf meinem Iphone.
Der Vorsitzende des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen, der Landesbischof der ELK in Bayern, Prof. Bedford-Strohm, fragt in seiner Pfingstbotschaft: „Wie glaubwürdig sind unsere humanitären Aktivitäten, wenn wir bewusst oder sogar programmatisch zu den treibenden Kräften schweigen, die die Not verursachen, die wir beklagen?..Wie können wir nicht poliitisch werden, wenn politische Entscheidungen der einzige Weg sind, um das Leiden zu überwinden?..
Es ist eine spirituelle Frage..und sie berührt die Grundlage unseres Daseins als Kirche.“ (ÖRK Wochenschau online 19.-25.Mai 23)
Papst Franziskus schrieb schon 2015 in seiner wunderbaren Enzyklica „Laudato Si“
„Diese Wirtschaft tötet.“ Und das hat er sich gewiss nicht auf dem Klo ausgedacht.
Die Enzyklika ist Ergebnis eingehender und kompetenter wissenschafftlicher Recherche, die die evangelischen Kirchen übrigens schon seit Jahren aus ihren Einrichtungen beseitigt haben. Der Kapitalismus ist ein soziales und ökologisches Krebsgeschwür, weil der betriebswirtschaftliche Egoismus, die völlig irrationale Gewinngier, die volkswirtschaftlichen Folgekosten den SteuerzahlerInnen aufhalst. Das Gewinnstreben wird durch den Konkurrenzkampf maß- und gewissenlos und sprengt die ökologischen, sozialen und moralischen Grenzen. Unser Wendehals-zeitenkanzler hat in der großen Koalition mit Frau Merkel die schon lange existierende Wendezeit verschlafen. Und er schafft es nicht, reinen Wein oder wenigstens sauberes Wasser einzuschenken. Und er ist ja leider europaweit in schlechter Gesellschaft. Und die Liberalen, die nicht müde werden, gegen alle wissenschaftliche Erkenntnis mit dem Zauberwort „Innovation“ die bestehenden Verhältnisse zu zementieren, haben nie verstehen wollen, dass meine Freiheit ohne die Freiheit der Anderen nicht zu denken ist. Sie zerstören den Geist unseres Grundgesetzes, insbesondere des Artikels 14 (2): „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Eckart von Hirschhausen stellt fest: „Es ist schwer, die Welt ehrenamtlich zu retten, wenn andere sie hauptberuflich zerstören.“ Aber er meint: „Es können fünf Prozent einer Gesellschaft reichen, Menschen, die sichtbar vorangehen und andere mitziehen.“ Er erinnert uns daran, dass wir Salz der Erde und Licht der Welt sein sollen, Licht aus einer „erneuerbaren Quelle“ in weltweiter ökumenischer Gemeinschaft. Christliche Hoffnung ist eine stärkere Motivation für Verhaltensänderungen als apokalyptische Dramen. Zu viele schon rechnen mit der Apokalypse und wollen bis dahin noch mal so richtig einen drauf machen. Das sehen wir schon an der Masse der SUVs auf unseren Straßen.
Liebe Gemeinde, das führt uns wieder zum Ursprung des geistesgegenwärtigen Handelns, zu den Wurzeln unseres Glaubens und christlicher Praxis zurück.
Wir hören Gottes Wort aus dem Evangelium nach Lukas, aus dem 4. Kapitel, die Verse 14-21: (nach der Basisbibel, Lektor):
Vom Heiligen Geist erfüllt bewährt Jesus nach seiner Taufe in der Wüste seine Treue zum väterlichen und mütterlichen Gott. Im Zeitraffer wiederholt und erlebt er die 40jährige Wüstenwanderung Israels, um das Volk Gottes neu zu konstituieren. Im Gehorsam gegen Gott widersteht er den Verlockungen des Teufels, mit einem Staatsstreich die Menschheit beglücken zu können, um am Ende doch global zum Teufel zu gehen. „Erfüllt von der Kraft des Geistes“ kehrt er nach Galiläa zurück und findet in den Synagogen mit seiner Lehre Hochachtung und Anerkennung. In Nazareth, der Stadt seiner Jugend, begegnet er uns wieder als frommer Jude, der wie gewohnt am Synagogengottesdienst teilnimmt und nach der Lesung der Thora die Schriftrolle nimmt, in der die prophetischen Worte des Jesaja überliefert sind, die nach der Rückkehr aus dem babylonischen Exil niedergeschrieben wurden. Wieder steht das Werk des Geistes im Mittelpunkt. Und nun nicht als fromme Rückschau. „Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt.“ Jesus, von dem die Öffentlichkeit nach Lukas bisher weiter nichts weiß als dass er ein bemerkenswert frommer und gescheiter Mann ist, aktualisiert das prophetische Heilswort. Die fromme Pietät wird durch Jesus aufregend virulent. Die Sendung geschieht hier und jetzt, wie Jesus am Ende des prophetischen Zitats deutlich macht. Und durch seine Taufe, durch die Bewährung in der Wüstenzeit und durch den Widerstand gegen den Teufel wird klar: Er ist der Gesalbte.
Die Römer hatten durch ihre Steuerpolitik viele Bürgerinnen und Bürger Palästinas in die Armut getrieben. Jesus ist beauftragt, den Armen eine gute Nachricht, eine befreiende Botschaft, zu bringen. Gott ist schon immer parteilich gewesen. Seit der Befreiung Israels aus der Sklaverei Ägyptens. Der Weltrat der Kirchen spricht von „God’s preferential option for the poor“. Vorrangig geht es um die, denen das Nötigste zum Leben fehlt und die darum ihrer Freiheit beraubt sind. Die keinen Einfluss haben und gern überhört werden. Ich erinnere daran, dass das Motto: „Leistungsgerechtigkeit“ götzendienerisch ist. Gerechtigkeit Gottes ist in der Bibel definiert als Gemeinschaftsgerechtigkeit, die sich im Verhältnis zu den schwächsten Gliedern der Gesellschaft bewähren muss.
„Den Gefangenen soll ich zurufen, dass sie frei sind.“ Es geht um die unschuldig Gefangenen, z.B. die 60.000 politischen Gefangenen allein in Ägypten, die zahllosen politischen Gefangenen in Saudi Arabien, im Iran, in Indien, im Sudan, in Russland, China und in der Türkei. Die kernigen Sprüche unserer Außenministerin werden belächelt, wenn gleichzeitig deutsche Waffen nach Ägypten und Saudi Arabien geliefert werden, um den Menschen im Jemen millionenfach den Garaus zu machen. Die Diktatoren lächeln huldvoll, wenn unser Wirtschaftsminister vor ihnen buckelt, um Treibstoff zu bekommen. Wir müssen nicht erst auf unsere Kirchenleitungen warten, um z.B. bei Amnesty International mitzuarbeiten oder mit unseren Bundestagsabgeordneten Tacheles zu reden. Statt Radtour am Rhein wäre doch auch eine nach Berlin möglich. Und wenn nötig auch Kirchenasyl für Geflohene aus Russland.
Ja, wir können auch Menschen helfen, die in schlechten Gewohnheiten und Beziehungen gefangen sind oder in den so genannten Social Media von Vorurteilen und Hasstiraden geknechtet werden.
Medizin und soziale Einrichtungen sind schon erfreulich weit, Blinden zu einem menschenwürdigen Leben zu verhelfen. Aber wir können in der Kraft des Heiligen Geistes auch den im übertragenen Sinne Blinden, den Betriebsblinden helfen,
wieder mit offenen Augen wahrzunehmen und einen weiteren Horizont zu erlangen.
„Denn Unterdrückten soll ich die Freiheit bringen.“ Menschen ohne Perspektive
sollen frei werden von quälenden Sorgen, von ständigen Ohnmachtsgefühlen, von ihrer unfruchtbaren Wut auf die Herrschenden. Es geht um ein Leben in Würde. Dass im Alltag klar und wahr wird, was im Grundgesetzt oberste Richtschnur ist: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Also nicht nur „die Würde der Deutschen“ oder „die Würde derer, die auf den roten Teppichen laufen“.
Es geht, liebe Gemeinde, um pfingstliche, um geistesgegenwärtige Lebensfreude.
„Jetzt beginnt das Jobel-Jahr, das 50. Jahr, in dem nach Geheiß der Thora die alten Besitzverhältnisse wiederhergestellt werden, Schulden gestrichen und Versklavung beendet, Landbesitz und Zugang zu den natürlichen Ressourcen garantiert werden. (Lev 25) Wenn wir das bedenken, verstehen wir auch die Proteste gegen „Mercosur“ und andere Handelspakte, die die Rechte indigener Völker zynisch mit Füßen treten, um in neo-kolonialer Manier weiter die Ressourcen zu rauben, die Konzerne uns gern aufschwatzen. Ob es sich um Energiequellen, Viehfutter oder Rohstoffe für’s Elektro-Auto handelt. Das Elend ist ja so wunderbar weit weg! Dagegen: „Jetzt beginnt das Jahr!!“
Die Frommen sind nach der Lesung gespannt auf die Auslegung. Jesus ist klar und deutlich: „Heute ist diese Stelle der Heiligen Schrift in eurer Gegenwart in Erfüllung gegangen.“ Wir lesen von Zustimmung und Staunen der Zuhörenden, und dann kommt das, was kommen muss, was uns ja auch immer wieder passiert. Die Überwältigung durch das, was vor Augen ist: „Ist das nicht der Sohn Josephs?“ Angesichts der Radikalität der biblischen Worte und der radikalen Aktualisierung durch Jesus kommt Skepsis auf. Sie nennen Jesus „Sohn des Joseph“. Der Name des Vaters signalisiert das Natürliche, das Altbekannte. Der Name „Maria“ hätte das unverhofft Neue angedeutet. Jawohl: es ist, wie es ist. Die alltäglichen Erfahrungen dämpfen oder ersticken gar das Vertrauen in die göttliche Wirklichkeit, zerbröseln den Glauben an eine radikale Veränderung der Verhältnisse. Wenn ich nicht irre, hätten auch wir ja ganz gern zur Überwindung unserer Skepsis ein göttliches finale furioso. Wir hätten gern, wenn Gott unabhängig von unserem Tun und Wollen das Paradies wiederherstellen würde. Das ist aber spirituelles Konsumdenken. Jesus hat uns in die Nachfolge gerufen und nicht verhohlen, dass damit auch Arbeit, Kummer und Not verbunden sein können. Diejenigen jedoch, die sich dem nicht verschlossen haben, erzählen uns von tiefer Freude über Gott, zeigen innere Freiheit und erleben göttliche Geborgenheit. Der Weg Gottes ist anders als der von CASAMUNDO. Was mich fasziniert, ist, dass Gottes Bereitschaft, um unseretwillen und mit uns zu leiden, zu streiten und zu kämpfen, weltweit mehr Gläubige bewegt als irgendeine andere Glaubensgemeinschaft mit ihren Überzeugungen. Gegenwärtig leben ca 2,1 Milliarden Christinnen und Christen auf der Welt. Da sollte doch Veränderungspotenzial sein. Vor allem in Europa und Nordamerika.
Der Geist Gottes arbeitete wohl anfangs ganz unscheinbar in der Wüste, im Disput mit dem Teufel, in der Synagoge von Nazareth, am Rande des römischen Imperiums. Aber er war auch nicht zum Schweigen zu bringen, als die Römer nach Tod und Auferstehung Jesu Jerusalem und den Tempel zum Trümmerhaufen machten und die jüdische Ökumene auslöschen wollten. Der Evangelist schreibt uns nach der großen Katastrophe diesen pfingstlichen Hoffnungstext!
Ich weiß: Oberwinter ist so wenig wie Nazareth der Nabel der Welt. Aber ich bin gewiss, dass auch hier, beseelt durch das Pfingstereignis, in ökumenischer Gemeinschaft Akzente gesetzt werden können, die für Viele heilsam sind.
Der Friede Gottes, der weiter reicht als unsere Vernuft und unsere Visionen, bewahre und beflügele unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen