Die Gnade Jesu Christi, die Liebe Gottes und die wegweisende Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen
Liebe Geschwister, ich gestehe, dass mich die Kapitel 12-16 des Evangeliums nach Johannes auch bei eingehender Betrachtung immer wieder verwirren. Fünf Kapitel Abschiedsrede Jesu! Einzigartig unter den Evangelien. Und Vieles begegnet mir so insiderhaft. Aber mich fasziniert die Intensität, mit der Jesus in diesen Kapiteln seinen Jüngerinnen und Jüngern die Bedeutung seines Leidensweges für ihn selbst und für die Seinen nahe bringt. Unser Text schließt mit den Worten: „Das habe ich zu euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt erfahrt ihr Bedrängnis; aber seid guten Mutes, ich habe die Welt überwunden.“
Liebe Geschwister, das ist die Summe alles dessen, was Jesus uns zu-mutet, im wahrsten Sinne des Wortes. Seid guten Mutes! Seelsorge mit göttlicher Autorität.
Wir wissen, dass die lange Abschiedsrede Jesu vor seinem Weg zum Kreuz kein historischer Bericht, sondern eine Projektion nach-österlicher Erfahrungen und Reflexionen auf die Zeit vor Ostern ist. Wir wissen mittlerweile auch, dass die besondere Situation, die das Johannes-Evangelium prägt, seine Ursache darin hat, dass noch während des Jüdischen Krieges (70 n.Chr.) Kaiser Vespasian dem rabbinischen Judentum eine Zufluchtsstätte in Jabne gewährte. Und wir wissen auch, dass der Vasallen-König Agrippa II, Urenkel von Herodes, im seinem Herrschaftsgebiet (östlich des Jordan von der Quelle bis zum See Genezareth (Tiberias)) jüdischen Autoritäten die Macht gab, Ketzer wie die messianischen Jüdinnen und Juden vom sozialen und wirtschaftlichen Leben komplett auszuschließen (Joh 16, 1f). Es ist zweifellos tragisch, dass die vom Kaiserreich bedrängte Judenheit im Bemühen, sich neu zu konstituieren, den messianischen Jüdinnen und Juden so hart zusetzte. Hauptargument gegen die Botschaft vom Messias Jesus war, dass man doch wusste, woher er kam, wer seine Familie war, und dass einer, der am verfluchten Holz hängt, keine messianische Autorität haben kann. Steht doch schon im 5. Buch Mose (21,23): „Denn ein Gehängter ist von Gott verflucht.“
Halten wir also fest, dass die antijüdische Polemik im Evangelium nach Johannes keinesfalls die Situation des historischen Jesus darstellt.Sie war viel differenzierter.
Aber die Menschen, die sich zu Jesus als dem Christus, dem Messias bekannten, hatten bezüglich ihrer Glaubenstreue jeden Grund zur Sorge. Und öffentlich zu bekennen, dass der Rabbi aus Nazareth der endzeitliche Retter der Welt ist, war offensichtlich gefährlich.
Und ich hebe das hervor, weil wir ja auch nicht mehr ernsthaft behaupten können, wir lebten noch geborgen in einem christlichen Abendland. Diejenigen, die das beschwören, verfolgen damit oft recht unchristliche Ziele. Wir erleben gegenwärtig die Gewalt autokratischer bzw. diktatorischer Regime, auch in Europa, und das Perfide ist, dass sie sich überall ein religiöses Mäntelchen umhängen, um unangreifbar zu sein. Der Fundamentalismus herrscht in der hinduistischen wie in der islamischen, in der buddhistischen und in der jüdischen Welt. Und zu unserer Schande müssen wir gestehen, dass der Fundamentalismus auch im Christentum wuchert. Damit wollen die Autokraten nur eines erreichen: eine Welt, in der die Männerherrschaft und die Macht obskurer Eliten zementiert werden soll. Und dann schauen wir genau auf diese vorgeblich starken Männer: sie haben Angst ohne Ende, scharen Leibwachen, um sich, lassen unterirdische Bunker und Fluchttunnel bauen, tragen schusssichere Westen und suchen Zuflucht in immer komplexeren digitalen Sicherheitsmaßnahmen.
Ich gestehe, dass mir die Welt, so wie sie mir heute begegnet, auch Angst macht, weil Argumente an Verschwörungstheorien und Wutphantasien abprallen. Aufklärung ist verhasst. Ich erlebe, dass manche sich in ein belangloses Kuschel-Christentum einhüllen oder in die Esoterik flüchten. Jahresumsatz in Deutschland 20 Mrd Euro. In den so genannten social media wabert gewaltbereites und asoziales Gedankengut. 450.000 InfluenzerInnen in Deutschland verdienen ihr Geld damit, uns ein schönes Konsum-Leben vorzuzaubern. Doch Vereinsamung und Ängste nehmen zu. Der Kapitalismus mit seinen verheerenden Auswirkungen auf uns Menschen und auf die Natur ist selbst zu einer Religion geworden. Wer ihn kritisiert, wird mit baalistischer Inbrunst des Neides bezichtigt. Derweil lassen die Eliten sich schöne Rückzugsorte bauen, die im Ernstfall militärisch abgesichert werden.
Und dann denke ich im Gebet an Gottes Schöpfung. Unsere Galaxie besteht aus ca 250 Mrd Sternen, und seit 2016 rechnet die Astronomie mit mehr als 1 Billion Galaxien. Unser Planet ist nur ein winziges Staubkorn im Weltall, aber in dieser unfassbaren Weite wunderbar geschaffen, damit wir Gottes Schöpfung bebauen und bewahren, dankbar für alles, was Gott uns in seiner Güte anvertraut hat.
Lächerlich das kraftstrotzende Gehabe der Herrscher unserer Tage, dummdreist.
Wenden wir uns wieder den Worten Jesu in seiner Abschiedsrede zu: „Wahrlich, ich sage euch, dass ihr weinen und wehklagen werdet, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, aber eure Traurigkeit wird zur Freude werden.“ Jesus verdeutlicht das an der Dynamik einer Geburt. Der Schmerz mündet in freudigen Jubel. So ruft Jesus heraus aus unserer Trostlosigkeit und Angst. „Ich werde euch wiedersehen, und euer Herz wird sich freuen, und eure Freude nimmt niemand von euch… An jenem Tag werdet ihr mich nichts fragen.. Was ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, wird er euch geben…Bittet, und ihr werdet empfangen, damit eure Freude völlig sei..An jenem Tag werdet ihr bitten in meinem Namen, und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten werde, denn der Vater selbst hat euch lieb, weil ihr mich geliebt und geglaubt habt, dass ich von Gott ausgegangen bin. Ich bin von dem Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; wieder verlasse ich die Welt und gehe zum Vater.“
Dem darauf folgenden Enthusiasmus der Seinen antwortet Jesus: „Glaubt ihr jetzt? Siehe, es kommt die Stunde und ist gekommen, dass ihr euch zerstreuen werdet, ein jeder in seine Heimat, und mich allein lassen werdet; doch ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir.“
Ja, wir kennen das auch, dass wir uns gern als Lebensversicherung ein spirituelles Bankkonto zulegen möchten. „Damit unsere Freude vollkommen sei.“ Wir möchten in Krisenzeiten nicht durcheinander geraten. Aber das funktioniert nicht. Wir wissen es. Ich versuche immer wieder neu, den Weg Gottes, eins mit Jesus, auf dem Weg durch die Zeiten und Räume der Welt zu begreifen. Ich staune wie der Beter des 8.
Psalms: „Wenn ich deinen Himmel sehe, das Werk deiner Hände, den Mond und die Sterne, die du hingesetzt hast. Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“ Was bedeutet es dann, dass Gott sich in seiner unermesslichen Majestät diesem Leidensweg aussetzt? Dass er in krassem Gegensatz zu weltlichen Herrschern wehrlos, ohne jeden göttlichen Sicherheitsapparat in unser Leben kommt? Dass er am Widerstand solch lächerlicher Marionetten der Weltgeschichte zu scheitern droht.
Ich kenne nur eine Antwort: Gottes gewaltfreier Widerstand, sein Leidensweg bis zum Holz am Kreuz, das persönliche Durchleben der Botschaft der Bergpredigt bis zur letzten Konsequenz ist der einzige Weg, der Menschen zur Genesung von Torheit und Bosheit, von Apathie und Angst führt.
In der jüdischen Mystik wird vom „Tzimzum“ erzählt, von der Selbstbeschränkung Gottes. Gott hat sich aus Liebe seiner Göttlichkeit entleert und sich zurück gezogen, um der Schöpfung einen eigenen Raum zu schenken. Gott beschließt, nicht alles zu sein. Deshalb kann unsere Gemeinschaft in Christus auch eine schmerzhafte Herausforderung sein. Uns wird eine hohe Verantwortung für das Leben in Gottes Welt zugemutet. Sind wir doch Botschafterinnen und Botschafter an Christi statt.
Aber der Evangelist Johannes bezeugt dann auch die Auferstehung. Dieser Weg Gottes endet nicht am Kreuz. Das Leben Jesu, sein prophetischer, priesterlicher und königlicher Weg, seine Wohltaten im Dienst der Kranken und Marginalisierten, seine Sorge für die in die Irre Gegangenen habe eine klare Perspektive: die Vollendung der Welt, eine Auferstehung zum ewigen Leben in liebevoller Gemeinschaft mit Gott. Das Leben derer, die ihm vertrauten, trotz Verfolgung und Verhöhnung, hat im römischen Reich eine subversive Hoffnung wachsen lassen auf Gott, dessen Wirken weiter reicht als alle so genannten Friedensordnungen der Imperatoren. Unser Glaube ist nicht das Sahnehäubchen auf der gutbürgerlichen Torte. Wir werden herausgefordert in unserem Leben, wenn wir die Botschaft der Heiligen Schrift ernst nehmen. Und wie wir immer wieder in den Worten der Bibel entdecken, ist das Gebet in allen Situationen des Lebens und auch bei allen Zweifeln und offenen Fragen, bei allen Sorgen und Bedrängnissen die entscheidende und befreiende Verbindung zu Gott. Und wir müssen dafür weder durch Sicherheitsschleusen noch an Überwachungskameras vorbei. Wir erleben ihn so in der Gemeinschaft mit dem Gekreuzigten und Auferstandenen und in der belebenden Kraft des Heiligen Geistes als väterlich und mütterlich sorgend. Wenn wir nicht wissen, was und wie wir beten sollen, vertritt Gottes Geist uns mit unaussprechlichem Seufzen.
Unsere Mütter und Väter im Glauben überliefern aber auch, dass unser Beten der Disziplin und Beharrlichkeit bedarf. Dabei wir werden immer wieder neu erfahren, dass alles anders wird, wenn wir im Gebet die verborgene Wirklichkeit und Wahrheit Gottes ernster nehmen als unsere Erfahrungen in der empirischen Welt.
Natürlich hätten wir am liebsten, wenn Gott uns ins Paradies zurückversetzen würde. Aber wie von der jüdischen Mystik habe ich auch von einem jüdischen Freund gelernt, dass es im Hebräischen kein Wort für die Allmacht Gottes gibt.
In den Vernichtungslagern der Nazis sind auch fromme Jüdinnen und Juden an Gott irre geworden. Doch viele haben in den KZs auch neu zum Glauben gefunden.
Ich sage mir: ich kann die Welt nicht nach meinem Willen und nach meinen Harmoniebedürfnissen gestalten. Wir alle können keine heile Welt schaffen. Aber wir können im Vertrauen auf Gottes Heiligen Geist und durch ihn belehrt das uns Mögliche tun: Gottes Gebote halten und ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller unserer Kraft, und unsere Nächsten wie uns selbst. Ich bin gewiss: wenn wir diese Liebe, beflügelt durch den auferstandenen Messias Jesus, bei allen Verwundungen und Anfeindungen souverän zum Ausdruck bringen, werden wir Frieden finden und anderen Menschen Frieden bringen, wirklichen Frieden, keinen faulen. Das muss nicht spektakulär sein. Aber unsere Liebe, genährt von Gott, ist wie das Weizenkorn, das in die Erde fällt und Frucht bringt. Wenn Gott, wie er sich uns im Leben Jesu offenbart hat, uns das zusagt, dann ist unser Gebet Nahrungsquelle und ein Brunnen wunderbarer Überraschungen.