Predigt im Gottesdienst 1.Sonntag nach Epiphanias in Oberwinter, 21.1.24, 11 Uhr – Pfr. i.R. Deckwerth

Liebe Gemeinde,

einfach oder nicht, einfach?

Wir machen es uns einfach, wenn wir über die Gemeinde in Korinth sprechen. Wie es immer einfacher ist, bei solchen Fragen, die an das Eingemachte gehen, über andere zu sprechen, z.B. wenn wir über die Gemeinde in Korinth sprechen, so als beträfe uns die die Anfrage des Paulus nicht : „Seht doch  auf eure Berufung, liebe Brüder und Schwestern,  wer seid ihr, als Gemeinde, was seid ihr als Gemeinde Christi?

Ich möchte wetten, auch wenn ich es nicht wirklich nachgeprüft habe, ich möchte wetten, dass 80% der Predigten über diesen Text mit der Erzählung über die Gemeinde in Korinth beginnen und nur sehr wenige  mit der unverblümten direkten Anrede der jeweiligen Gemeinde vor Ort im hier und jetzt.

Oder aber: Wir machen es uns  nicht einfach,  wir sprechen wir über uns.   Auch wenn wir es  nicht gewohnt sind, uns in dieser Direktheit durch einen biblischen Text ansprechen zu lassen, schon gar nicht, wenn es um Fragen geht,  wie  diese:

Seht doch auf eure Berufung, liebe Schwestern und Brüder!

Da sind nicht viele Weise nach menschlichem Maßstab, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme, sondern das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, ……

Das verspricht dann riskant und bedeutungsvoll zu werden, wie immer, wenn es um Fragen geht, die um unsere Lebensumstände kreisen. Zweifellos spricht Paulus von solchen Fragen. Fragen von sozialer Relevanz. Fragen, die auch in unserer Gemeinde eine Rolle spielen: über Macht, Einfluss, Einkommen, Vermögen, Herkunft,  Bildung, Status. Es hört sich an wie eine Studie über die sozialen Verhältnisse der Gemeinde.

Und da gibt es „feine Unterschiede“, wie der deutsche Titel einer groß angelegten soziologischen Untersuchung eines  bekannten französischen Soziologen,  namens Pierre Bourdieu, aus dem Jahr 1979 über die französische Gesellschaft lautet.

Ja, die gibt es, dieses feinen Unterschiede Und die gibt es auch in dieser Gemeinde und die gab es auch damals zur Zeit des Paulus in Korinth.

Doch was beabsichtigte Paulus mit dieser Herangehensweise, sich der sozialen Realität der Gemeinde in Korinth zu nähern ?

Ich habe den folgenden Gedankengang für mich mit den Worten “Umwertung der Werte“ überschrieben:

Das, was uns etwas gilt, wird hier im Brief des Paulus nicht nur relativiert, sondern bekommt eine geradezu negative  Funktion: Bildung, Herkunft,  Macht ,Einfluss, Einkommen, Vermögen, sozialer Status . All dies steht in unserer Gesellschaft wie auch in unseren Gemeinden im hohen Ansehen und gilt als Träger des Fortschritts.

Das heißt aber, Paulus spricht nicht allgemein über ,Bildung, Herkunft,  Macht ,Einfluss, Einkommen, Vermögen, sozialer Status ,sondern in ihrer sozialen Bedeutung , als Träger des Fortschritts und Heils zu gelten.

Das wird nun durch die NEGATIVEN Gegensätze  untergraben, zersetzt und in ihrer positiven Funktion dem Fortschritt und dem Heil unserer Gesellschaft zu dienen, zerstört oder, um einen Begriff neuerer Philosophie zu gebrauchen, destruiert.

Stattdessen heißt es hat Gott das Törichte in der Welt  erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen, und das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen.

Und das Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt: das, was nichts ist, um das, was etwas ist, zu vernichten, Wenn Paulus uns in dem heutigen Predigttext auffordert, seht auf Eure Berufung, dann ruft er uns zu einem radikalen Blickwechsel angesichts der sozialen Wirklichkeit auf.

Nichts  von alle dem was bisher galt, lässt die Hoffnung zu, auf ein Schöner, ein Besser, ein Mehr, das von einem Oben , einem Höheren kommt.

Wenn wir von den realen Dingen dieser Welt sprechen, die die Welt beherrschen:  Macht, Einkommen, Vermögen, Herkunft,  Bildung , Macht, Einfluss, sozialer status, dann sprechen wir nicht von den „feinen Unterschieden“, sondern von unserer sozialen Welt, wie sie ist, von der Wirklichkeit, an der unsere Welt kaputt geht und die uns im vergangenen Jahr so unerbittlich mit ihren Krisen und Kriegen eingeholt hat – bis hinein in die Räume, die wir dem Geistigen und Geistlichen, den feinen und innerlichen Regungen unserer Herzen und unserer Seelen vorbehalten sahen. Und dazu gehören unsere sonntäglichen Gottesdienste.

In diese Welt ragen nun die Erfahrungen dieser Jahre 2023 und 2024  mit besonderer Brutalität um zu dieser Einsicht zu gelangen ,  bedarf es heute nicht einmal mehr die Bibel bzw. die Theologie. Es genügt der bloße Menschenverstand und ein aufmerksames, waches Beobachten des Weltgeschehens.

Aber seht doch liebe  Schwestern und Brüder, seht doch: Hinter diesen Realitäten steht dieser Mann: Jesus von Nazareth. Er war ohne alle diese Privilegien: Macht, Einfluss,  Bildung, sozialer status, Vermögen Einkommen. Er war ohne alle diese Privilegien, weil er sich mit denen die, die als töricht galten, als schwach und  unbedeutend, unansehnlich identifiziert hatte und damit all jene destruktive Beschreibungen auf sich gezogen hatte, die Paulus den strahlenden Leuchtreklamen  des Heils und des Fortschritts in unserer Gesellschaft gegenübergestellte hatte  …….

Und nun wird dieser Text auch für uns riskant und bedeutungsvoll.

Riskant:

wir kennen diesen Mechanismus nur zu gut. Sich mit denen zu identifizieren, die keine Macht und keinen Einfluss haben , die keine Bildung haben, die am Rande der Gesellschaft leben oder gar schon außerhalb ihrer. Das bringt nicht nur nichts, das führt ins Abseits und schadet eher und bringt  am Ende Leib und Leben in Gefahr. Selber schuld, heißt es dann. Und wer  ein solches Risiko scheut und sei es nur, dass es ihm unbequem erscheint, der entlastet sich mit dem Gedanken, dass für diese Menschen in unserer Gesellschaft der Wohlfahrtsstaat sorgt oder zahlreiche Ehrenamtler bzw. Gruppierungen, die im modus des Ehrenamtes arbeiten,  wie die Suppenküchen, Tafeln, Flüchlingshelfer, Hausaufgabenhilfe, bis hin zu den  Ärzten für die dritte Welt, Vereinigungen von Rechtsbeistände und Journalisten (Im Jahr 2023 sind weltweit 41 Journalist:innen in Ausübung ihrer Tätigkeit getötet worden) in autoritären Staaten .

„Seid gesinnt wie es der Gemeinschaft mit Jesus entspricht“, so haben wir eingangs gehört, „der es nicht als ein Privileg ansah, selbstgenügsam wie ein Gott angesehen zu sein, sondern aus sich herausging, sich den Menschen zuwandte und sich ihnen  ganz und gar hingab ….bis in den Tod.“ „Darum hat ihn Gott erhöht und hat ihm seinen Namen gegeben“, so heißt es weiter im Text des Philipperbriefes.  Dieser Vers aus dem Philipperbrief umschreibt mit anderen Worten, was in unserem Text mit dem hebräischen Wort bachar, wählen, auswählen zum Ausdruck gebracht wird, so wie Liebende ihre Partnerin oder Partner aus einer Vielzahl Anderer emporheben, erwählen.

„darum hat ihn Gott erwählt“

Und damit wird unser Bibeltext auch für uns bedeutungsvoll, bedeutungsvoll ist unser Text, weil er uns erzählt, dass Gott diesen Menschen und mit ihm alle Menschen erwählt hat.

Christen tragen dies in ihrem Namen und mit diesem Namen den Grund ihrer Erwählung, wie er in der Geschichte dieses Jesus von Nazareth eingeschrieben ist: Seht doch eure Berufung liebe Brüder und Schwestern.

Amen

Michael Deckwerth

Fasanenstr.23

53179 Bonn

m.deckwerth@online.de