Predigt am 24.07.2022 – Der kosmische Christus nach einem Aufsatz von Prof. Jürgen Moltmann von Pfarrer Michael Schankweiler, Oberwinter

Liebe Gemeinde!

Dass die Menschheit sich in eine ökologische Krise hineinmanövriert hat, ist wohl eine unbestrittene Tatsache. Was der Mensch sät, das wird er ernten. „Nach zwei Jahrhunderten rücksichtslosen Fortschritts in der Industriegeschichte der Menschheit stehen wir vor einer Katastrophe“, schreibt mein Tübinger Professor und Lehrer Jürgen Moltmann in einem Aufsatz: Für die Herrlichkeit bestimmt – Der kosmische Christus und die große ökologische Transformation in Zeitzeichen 6/2022. Jürgen Moltmann ist jetzt hochbetagt, doch weiterhin wach für die Situation der Menschen.

Was er fordert ist ein Umdenken des Menschen, weg von einem materialistischen Weltbild zu einem spirituellen, einem Verständnis von Natur, das ihr die göttliche Würde und Beseeltheit durch den Geist Gottes zurückgibt. Den Sinn verändern, Fehler einsehen und ein anderes Verhalten einüben, das ist dem Menschen durchaus möglich.

3 Gedanken sind es, die er als Forderung an uns alle richtet:

  1. Ein anderes Verständnis von Natur
  2. Ein neues Menschenbild
  3. Eine kosmische Spiritualität

Lassen Sie mich diese Gedanken in aller Kürze entfalten:

  1. Ein anderes Verständnis von Natur

Natura – entspringen, entstehen, seinen Anfang nehmen, herrühren………..Der moderne Mensch hat die Natur zu einem Objekt erklärt, zu einer Sache, die er besitzen, benutzen und auch ausbeuten darf, beides Fauna und Flora. Er kann und konnte beliebig mit ihr umgehen, weil Tiere und Pflanzen keine Rechte haben. Es gab lange keine Gesetze, die sie schützten…….so wie es Menschenrechte gibt……“Die Menschenrechte, so schreibt Moltmann, wurden von der UNO 1948 angesichts der Zerstörung des II. Weltkriegs formuliert und beschlossen. Für die Rechte der zukünftigen Generation und die Rechte der Natur ist jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen.“

„Zukünftige Generationen haben das Recht, nicht mit Produkten und Abfällen früherer Generationen bedroht zu werden.“

„Die lebendige Natur hat ein Recht auf Erhaltung und Entwicklung ihres genetischen Erbes.“

Von Objekten zu Subjekten…….“Wären bei uns nicht nur Kapitalgesellschaften, sondern auch Natursubjekte eigene juristische Personen, dann hätten nicht nur Tiere Rechte, sondern auch Wälder, Berge und Flüsse und Seen und das Meer.“

Die Bibel nennt Fauna und Flora auch nicht einfach nur Natur, sondern Schöpfung. Die Schöpfung ist ein eigenständiger, lebendiger Organismus. Über ihr, mit ihr und in ihr ist Gottes Geist verwoben, sein heiliger Atem. Nicht nur der Mensch, auch die ganze Schöpfung lebt und seufzt nach Erlösung. Die Erde ist der hervorbringende Mutterschoß allen Lebens. Alles Lebendige verdankt sich der Fruchtbarkeit der Erde. Sie ist beseelt, hat eine eigene Seele und ist sicher nicht nur ein Objekt. Sie ist auch geschaffen und darum ein lebendiges Geschöpf Gottes. EG 510,2

  1. Ein neues Menschenbild

Im ersten Schöpfungsbericht der Bibel gibt es einen Vers, der zu einem verhängnisvollen Missverständnis eingeladen hat. Hier heißt es: „Der Mensch soll sich die Erde untertan machen und über sie herrschen!“…….Damit war aber nie gemeint, dass der Mensch mit der Schöpfung machen kann, was er will, oder nach seinem Gutdünken oder Bösdünken, Schalten und Walten kann nach Belieben – Ausnutzen, Ausbauten, Vernichten von Tierarten, Vergiftung……..nein – dieser Vers 28 in Genesis 1 ist gesagt unter der Voraussetzung des 22. Verses: Denn dort wird dem Menschen die Erde, ja die Schöpfung, gegeben, zum Segen. Menschen sollen segensreich mit den Geschenken Gottes umgehen, wie ein guter Gärtner, der voller Liebe, Fürsorge, Pflege und Achtsamkeit mit allem umgeht.

Jürgen Moltmann zitierte Jesus, der gesagt hat: „Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen!“

Sanftmütig mit Pflanzen umgehen, heißt, ihren Eigenwert anzuerkennen und nicht nur nach dem Nutzwert für die Menschen zu fragen. Sanftmütig mit Tieren umzugehen heißt, sie als Mitgeschöpfe anzuerkennen. Sanftmut ist Mitgefühl und Empathie, Aufmerksamkeit und Achtsamkeit, Geduld und Ehrfurcht vor dem Leben. In allem Lebendigen, Sanftmut versucht, die Zusammenarbeit mit der Natur zu üben, statt Gewalt auszuüben. Hier denken wir an Albert Schweitzer und an seine Weltformel: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will. Sanftmut will Wissenschaft mit Weisheit verbunden wissen.

  1. Kosmische Spiritualität

Das Wort Spiritualität, das ja heute in aller Munde ist, kommt her von dem Wort Spirit und das meint den Geist…….den Geist Gottes. Die Bibel erzählt vielfach, dass Menschen vom Geist Gottes ergriffen wurden. Sie wurden zu inspirierten Menschen, Menschen des Geistes. „Denn die Liebe ist in uns eingegossen durch den Heiligen Geist!“, schrieb der Apostel Paulus. Dieser Geist der Liebe, den der Apostel meint, ist für ihn nichts anderes als die Liebe, die wir durch Jesus Christus erfahren haben. Und noch genauer: Diese Liebe hat sich ereignet in seinem Sterben am Kreuz. Am Kreuz offenbart sich eine Liebe, die erduldet, die sanftmütig ist, die uns den Weg zur Erlösung weist. Und erlöst, das befreit werden, ausgelöst von Schuld, Knechtschaft, Ausbeutung, Entfremdung soll nicht nur der Mensch, nicht nur die fromme Seele, sondern die ganze Schöpfung, der ganze Kosmos………..so steht es jedenfalls auch bei Paulus zu lesen. Mensch und Natur sind zur Herrlichkeit bestimmt – die ganze Schöpfung Gottes. Die Erlösung, die im Kreuz und in der Auferstehung den Anfang nahm, bezieht den gesamten Kosmos mit ein. Das mag auf der einen Seite vielleicht eine narzisstische Kränkung des Menschen sein, dass er einmal nicht der Mittelpunkt der Gedanken Gottes ist, sondern einfach nur dazugehört – zum Kosmos, der erlöst wird. Aber auf der anderen Seite, meint Jürgen Moltmann, führt uns aber der Gedanke eines erlösten Kosmos in die Weite Gottes, in die Unendlichkeit seiner Liebe und in die ökumenische Dimension einer gesamten Menschheit, die verantwortlich ist für das Leben und Überleben.

Nun denken Sie vielleicht, alles schöne Worte, aber wird und das Retten? Nein – retten wird uns das nicht. Gott wird uns retten. Aber es wäre schon viel getan, die Menschheit könnte ihr Verhältnis zur Natur, zur eigenen Achtsamkeit und Wertschätzung ihr gegenüber ändern und sich dem lebensspendenden Geist Gottes öffnen. Dafür müssten wir aber auf viele Selbstverständlichkeiten und Bequemlichkeiten verzichten und einen neuen, veränderten Lebensstil wagen. Die Umstände werden uns dazu zwingen. Denn die beseelte Schöpfung antwortet auf unser geistloses Tun und wir werden ihr eine bessere Antwort geben müssen und auch können als in den letzten zwei Jahrhunderten.  Amen