75 Jahre Grundgesetz – Predigt von Pfarrer Michael Schankweiler am Sonntag, 14.04.2024 in Oberwinter

Vor 75 Jahren trat für Deutschland das Grundgesetz in Kraft. Ganz Deutschland sollte nach dem verlorenen II. Weltkrieg die Chance erhalten, eine Demokratie zu sein. Deutschland war von den Siegern in 4 Besatzungszonen aufgeteilt worden. Für die drei westlichen Zonen, die von Amerikanern, Briten und Franzosen kontrolliert wurden, sollte mit der Gründung der Bundesrepublik im Jahre 1949 Deutschland das Grundgesetz gelten. Der vierte, durch die Sowjetunion besetzte östliche Teil, sollte folgen dürfen. Deswegen nannte man diese Rechtsordnung auch nicht Verfassung, wie die Weimarer Verfassung aus dem Jahr 1919, sondern das Grundgesetz. Nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten im Jahre 1990, sind die östlichen Bundesländer dem Geltungsbereich des Grundgesetzes einfach beigetreten. Eine gemeinsame Verfassung des demokratischen Deutschlands gibt es bis heute nicht. Warum auch? Das Grundgesetz ist ein feines Werk und beinhaltet alle wichtigen Rechte und Pflichten der Bürgerinnen und Bürger.

Warum spricht heute ein Pfarrer über ein staatliches Gesetz, über Grundrechte und Demokratie?

Weil ich der Meinung bin, dass die Grund- und Menschenrechte eine große Errungenschaft sind. Weil ich denke, dass die Demokratie die bisher beste Staatsform darstellt. Und weil ich glaube, dass dem Grundgesetz in seinen eben grundliegenden Vorstellungen, ein biblischer, ein jüdischer und christlicher Geist zu Grunde liegt.

Denn so beginnt ja das Grundgesetz, das nicht in Paragraphen daherkommt, sondern mit Artikeln.

Der 1. Artikel lautet so: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt.“

Mit diesem ersten Artikel betreten wir schon den Boden der Bibel. Schon am Anfang, im 1. Buch Mose, in der ersten Schöpfungsgeschichte, wird uns ähnliches erzählt. Als Gott den Menschen schuf,  in der Gleichheit von Mann und Frau, heißt es: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf ihn als Mann und Frau.“

Nicht nur, dass die Bibel als Geschöpfe gleichrangig erwähnt. Menschen sind Gottes Ebenbild. Diese Aussage zielt nicht auf das Äußere oder Erscheinungsbild des Menschen. Es meint die Würde. So wie Gott voller Würde, Ehre und Hoheit ist, so wertvoll und wertgeschätzt soll jeder Mensch auf Erden sein. Alle Menschen sind Würdenträger. Jeder Mensch ist einzigartig, jeder ist etwas Besonderes, jeder ist von Gott geheiligt. Alle Menschen sind gleich, zu achten, zu fördern, zu schützen.

Die Väter und die eine Mutter des Grundgesetzes hatten noch die hässlichen Verbrechen der Nazis in den Knochen und im Sinn. Als man in deutschem Namen und zu Unrecht, Menschen wie Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, Behinderte, Slawen, Schwarze zu Menschen niedriger Ordnung erklärte und bestialischem Tode preisgaben.

Nein – jeder Mensch ist Gottes Ebenbild, voller Würde, die niemand antasten darf. Und wenn einer das tut, er oder sie mit Sanktionen durch den Rechtstaat bestraft wird.

Das Grundgesetz basiert in den ersten wichtigen Artikeln auf den Menschenrechten, die jedem Menschen aufgrund seines Menschseins zustehen. Die Menschenrechte sind universell. Das heißt, sie sind überall und für alle Menschen jederzeit gültig. An diese Auffassung schließt das Grundgesetz an. Die Menschenrechte können niemandem entzogen und auch nicht willentlich aufgegeben oder abgetreten werden. Es gibt in unserem Grundgesetz die Ewigkeitsklausel. Mit ihr, der Ewigkeitsklausel, wurde eine Lehre aus der Nazizeit gezogen, in der Menschenrechtsverletzungen damit begründet wurden, dass sie einem höheren Zweck dienten nach dem Motto: Volksgemeinschaft- Du bist nichts – dein Volk ist alles!“

Dagegen bezeugt unser Grundgesetz die Unteilbarkeit und Unaufhebbarkeit der allgemeinen Menschenrechte. Es heißt im ersten Artikel: „Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“

Außerdem heißt es. Ich rufe uns einige Grundrechte in Erinnerung!

Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seiner religiösen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.

Und relativ neu heißt es im Grundgesetz im Hinblick auf Menschen mit Behinderungen: Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Das Grundgesetz garantiert die Freiheit des Glaubens, des Gewissens, die ungestörte Religionsausübung und das Recht, das niemand zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden kann.

Die zuletzt genannten Grundrechte hatten natürlich besonders auch die Nazidiktatur im Blick, in der Kriegsdienstverweigerer in KZ´s kamen, Kirchen bedrängt und Synagogen brannten.

Das Grundgesetz garantiert die Presse und Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, das Briefgeheimnis, die Freiheit von Kunst, Forschung und Lehre an den Universitäten.

Das sind auch alles Freiheiten, die in der Diktatur außer Kraft gesetzt waren.

Die erste demokratische Verfassung für Deutschland, nach dem 1. Weltkrieg, nach dem Kaiserreich – die sogenannte Weimarer Verfassung von 1919, hatte einen Geburtsfehler, der den Demokratiefeinden von damals einen großen Spielraum eröffnete, nämlich die Macht des Reichspräsidenten. Dieser konnte über Notverordnungen, Regierungen ein und absetzen und durch eigenes Recht präsidial regieren. Mit einer Notverordnung auf Druck des von ihm ernannten Reichskanzlers Hitler, schaltete er die Opposition von Kommunisten und Sozialdemokraten aus, ging polizeilich gegen diese Menschen vor, brachte diese um oder ins KZ und konnte dann über ein Ermächtigungsgesetz mit 2/3 Mehrheit die eben beschrieben Grundrechte außer Kraft setzen. Hitler ist also quasi legal über die Verfassung an die Macht gekommen.

Diese gefährliche Lücke ist Gott sei Dank in unserem Grundgesetz geschlossen worden.

Nun – was dem Grundgesetz von 1949 sicher fehlt – das hatten die Schöpfer desselben damals noch nicht im Blick: Der Schutz der Umwelt, der Tier – und Pflanzenwelt.

Und ganz grundsätzlich gilt, die Mitwirkung von uns Menschen. Das wir alle verpflichtet sind, uns der Grundrechte, der Menschenrechte immer wieder bewusst zu werden und auch die Pflicht haben, an Recht und Durchsetzung von Rechten mitzuwirken.

Was nützen uns die schönsten Worte auf Papier, wenn wir sie nicht achten und umsetzen.

Im alten Israel galten Gebote und Gesetze als sehr wichtig und als Gottes Weisungen an die Menschen. Eingemeißelt in die Steintafeln sind die 10 Gebote: Du sollst! Ich bin der Herr Dein Gott! Der längste Psalm, der 119. Mit seinen 176 Versen rühmt Gottes Gebote und Weisungen: „Wohl denen, die ohne Tadel leben, die im Gesetz des Herrn wandeln. O dass mein Leben deine Gebote mit allem Ernst hielte.“

Und auch der Prophet Amos kämpfte gegen alles Unrecht in Israel, ohne Recht keine Gerechtigkeit. Die aber sollte aufrauschen wie ein üppiger Wasserfall des Lebens: “Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“ Amos 5, 24

Der Kirchenvater Augustin sagte: Nimm das Recht weg von den Menschen, was hast Du dann: eine Räuberhöhle. Die hatten wir in Deutschland zu Genüge: Nie mehr! Bitte nie mehr!

Amen