Kirchenchor

Der Chor als ein Herzstück der Kirchenmusik

von Christiane von Essen, Kirchenmusikerin in Oberwinter

Seit mehr als 31 Jahren bin ich Kirchenmusikerin in Oberwinter. Ich zog mit meinem damaligen Mann, Ulrich Schütte, ins alte Pfarrhaus – noch nicht renoviert. Krumm und buckelig atmete es den Charme vergangener Zeiten. Ich war begeistert von dem schönen Ort, der Kirche, so wunderbar eingefügt in seine Umgebung und – von der drei-manualigen Oberlinger Orgel. Der Chor war von meinem Vorgänger Thomas Neuhoff bestens aufgestellt und empfing uns mit offenen Armen.

© Fotos privatSchon bald gelang es, einen Förderverein für Kirchenmusik zu gründen. Tatkräftig wurde dies unterstützt unter anderem von Ingeborg Stammler, Konrad Hacker und Susanne Metzger. Nun war die Türe geöffnet für eine Konzertreihe, die wir ohne den Förderverein nie hätten beginnen können. Ulrich Schütte hatte durch seine Tätigkeit als Oratoriensänger viele Kontakte zu anderen Musikern und Musikerinnen, und er war auch ein guter Organisator – und ich wuchs mit meinen Aufgaben. Zunehmend gewann ich an Sicherheit und erarbeitete mit dem Chor große Werke der Musikliteratur.
© Fotos privatSeit dreißig Jahren gestaltet der Chor das traditionelle Adventskonzert. Der Messias von G. F. Händel, das Weihnachts­oratorium und viele Kantaten von J. S. Bach, das Gloria von A. Vivaldi, das Weihnachtsoratorium von C. Saint-Saens und zahlreiche andere Werke kamen zur Aufführung. Im letzten Jahr sang der Chor eindrucksvoll ein zeitgenössisches „Magnificat“ von A. Pärt, das dem Magnificat von A. Vivaldi gegenübergestellt wurde.

Ein kleiner Chor traut sich an große Werke und wächst dabei über sich hinaus. Die Orchester und Solisten wie Solistinnen sind oft erstaunt darüber, mit welchem Engagement und auf welch hohem Niveau der Chor sich in den Gesamtklang der Profimusiker einfügt.

© Fotos privatEin besonderes musikalisches Erlebnis war für uns und die Zuhörer das Requiem von Gabriel Fauré am Totensonntag 2009. Das Tröstliche dieser Totenmesse ist den Zuhörern so nah gegangen, dass sich am Ende des Konzertes eine lang anhaltende Stille ausbreitete.

Einige Konzerte sind vom Frauenchor Oberwinter gestaltet worden. Eine kleine Schar von Sängerinnen, stimmsicher und intonationsrein hat zum Beispiel am vergangenen Karfreitag 2011 das „Stabat Mater“ von G. Pergolesi gesungen. Instrumente, Chor und die beiden Solistinnen waren fein aufeinander abgestimmt und haben das Passionsgeschehen musikalisch auf anrührende Weise gestaltet und die Zuhörer in den Bann gezogen.
Trauer, aber auch Freude weiß der Chor immer wieder herüberzubringen. So sang der Chor die Kantate „Erschallet ihr Lieder“ von Johann Sebastian Bach in einem musikalischen Gottesdienst zu Pfingsten, und der Funke der Freude sprang über zu der versammelten Kirchengemeinde.

Innerhalb der letzten dreißig Jahre hat sich die Gesellschaft erheblich verändert und das hat natürlich einen großen Einfluss auf die Vereine und auf die Chöre. Kein Jugendlicher kommt nach der Konfirmation mehr in den Kirchenchor, wie es Leni Pertz in dem folgenden Beitrag für die 1950er Jahren dokumentiert. Die Beziehung zur Kirche bricht in der Regel eher ab. So fehlt es den meisten Kirchenchören an Zulauf; sie sind überaltert und Männerstimmen sind rar. Das vierstimmige Singen ist meist nicht mehr möglich, oft wird nur noch drei- oder gar zweistimmig gesungen.

Da einerseits die kirchlichen Bindungen allgemein schwächer geworden sind, anderseits die Menschen immer flexibler und mobiler sein wollen und müssen, sind die Kirchenchöre in eine kritische Situation geraten. Die neuen Konzepte sind wie überall in der Gesellschaft zunehmend projektorientiert.

Auch unser Chor hat so manche Klippen umschiffen müssen, weil nicht mehr ausreichend Sänger und Sängerinnen dabei waren. Daher wurden zu Konzerten öfter ein paar Aushilfen benötigt. Im Augenblick sind wir eine gute und singfähige Gemeinschaft, heiter und motiviert. Zwar sind die kirchlichen Bindungen bei den Sängerinnen und Sängern unterschiedlich ausgeprägt, aber zu den großen Feiertagen ist der Chor immer noch dabei; und ein Urlaub wird auch schon mal verschoben. Vom reinen Kirchenchor hat sich das Gewicht jedoch verlagert zu einem Chor, der gerne sakrale Werke aufführen möchte. Eine im engeren Sinne nicht nur protestantisch verankerte Religiosität, die zunehmend überkonfessionell geprägt ist.

Ich glaube, was uns – den Chor und mich als Leiterin – verbindet, ist die Herausforderung, sich immer wieder auf den Prozess einzulassen, ein geistliches Werk zu erarbeiten und immer tiefer in die Musik und deren Aussage einzutauchen, so dass nachher im Konzert oder im musikalischen Gottesdienst eine nonverbale Botschaft den Zuhörern vermittelt wird, die uns in dem religiösen Gefühl bestärkt, dass Musik ein Moment von Ewigkeit durchschimmern lässt.

Entsprechend war für Olivier Messiaen ein Text aus der Apokalypse von großer Bedeutung: Ich sah einen Engel voller Kraft herabsteigen vom Himmel, eingehüllt in eine Wolke, einen Regenbogen über seinem Haupt. Sein Antlitz war wie die Sonne, seine Füße wie Feuersäulen.    Er stellte den rechten Fuß auf das Meer, seinen linken auf die Erde, und über Meer und Erde  stehend hob er die Hand zum Himmel und schwur bei dem, der von Ewigkeit zu Ewigkeit lebt: „Es wird fortan keine Zeit mehr sein“.

Ansonsten sind wir aber auch ein sehr irdischer, fröhlicher Kirchenchor, der gerne nach der Chorprobe in die Wirtschaft geht, Bier oder Wein trinkt und – obwohl aus unterschiedlichen Lebenswelten – doch eine in sich gefestigte Gemeinschaft ist. In gewisser Weise auch ein Herzstück der kirchlichen Gemeinde in Oberwinter.

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